Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
Obwohl«, sagte sie nachdenklich, »eigentlich können
wir von Glück reden, dass wir noch Betten hatten, in denen wir verbrannt wären, wenn man bedenkt. – Aber sag mal ehrlich«, sagte sie und wechselte abrupt das Thema, »sieht mein Gesicht sehr schlimm aus?«
»Nein, Mum, du siehst gut aus.«
»Ich habe nämlich nachgeholfen, weißt du. Ich habe mich eingecremt, und dann ist nichts passiert, dann habe ich noch mal etwas genommen, und als ich am nächsten Morgen in den Spiegel guckte, da sah ich so aus.«
»Aber du weißt doch, dass die Bräunung nicht gleich sichtbar wird, Mum, das sagen wir doch jedesmal, du musst abwarten.«
»Ich weiß, aber ich denke immer, ich habe nicht genug genommen. Außerdem finde ich es gut, ein bisschen Farbe zu haben, aber Helen hat sich furchtbar lustig über mich gemacht.«
»Vielleicht ist sie eifersüchtig.«
»Eifersüchtig!« Plötzlich verstand sie nur zu gut. »Klar, natürlich ist sie eifersüchtig! Das ist es! Aber dir geht es gut, ja? Und du kommst bald nach Hause?«
Dann erkundigte Dad sich nach meinem Wohlergehen. Aber da er ein Mann ist und darüber hinaus Ire, was noch viel schlimmer ist, sprach er das Thema eher indirekt an, ohne mir in die Augen zu sehen. »Du siehst aber … gesund aus«, sagte er.
»Mir geht es gut, Dad.«
»Und du isst auch genug und so?«
»Ja, Dad, mir geht es gut, und du darfst dir keine Gedanken mehr darüber machen, dass du mir das von Garv erzählt hast.«
»War es wirklich seine Cousine?«
»Nein, ganz sicher nicht. Aber sei unbesorgt, es ist in Ordnung. Gut, ich fahre jetzt, ihr müsst ja völlig erschöpft sein. Wir sehen uns morgen.«
Dem heftigen Widerspruch nach zu urteilen, den ich erntete, hatte ich das Falsche gesagt.
»Aber in Irland ist es jetzt Mitternacht«, erklärte ich. »Was ist mit eurem Jetlag?«
»Den Jetlag überwindet man ehesten, wenn man aufbleibt und zur normalen Zeit schlafen geht«, sagte Mum kenntnisreich.
Ich sah sie verwundert an. Seit wann war sie so reiseerfahren? »Das hat Nuala Freeman gesagt.«
»Na ja, wenn Nuala Freeman es sagt, dann muss es ja stimmen«, warf Helen bitter ein. Ich war ganz ihrer Meinung. Nuala Freeman klang wie eine echte Nervensäge.
»Außerdem müssen wir noch zu Abend essen«, sagte Mum. »Wir können doch nicht ins Bett gehen, ohne gegessen zu haben!« Meine Eltern sind echte Gewohnheitstiere.
»Ist es heute zu spät für Disneyland?«, fragte Dad.
»Es ist schon fast vier, du Dummkopf«, sagte Helen.
»Aber es hat bis Mitternacht geöffnet«, sagte Mum. »Das weiß ich von Nuala Freeman.«
Bevor Helen uns alle mobilisierte, damit wir Nuala Freeman das Leben zur Hölle machten, erklärte ich Dad, dass es eine zweistündige Fahrt bis Disneyland sei und wir das besser an einem anderen Tag machen sollten. Ich schlug vor, dass sie ihre Sachen auspacken und sich ein bisschen an den Pool legen sollten, und dann würde ich sie zu einem frühen Abendessen abholen.
»Was ist mit euch?«, fragte ich Helen und Anna. Sie wollten doch sicher allein ausgehen, sich betrinken und nach Surf-göttern Ausschau halten? Aber sie wollten mitkommen, denn schließlich mussten sie auch essen, und Dad würde bezahlen.
»Wie geht es denn Emily?«, fragte Mum. »Ich hab Mama Emily gesagt, ich würde nach ihrer Tochter sehen und mich vergewissern, dass sie ordentlich isst und auf sich Acht gibt.«
»Emily hat sehr viel tun«, sagte ich, aber Mum warf mir diesen besonderen Blick zu.
»Also meinetwegen«, sagte ich nachgebend. »Aber jetzt muss ich ihr das Auto zurückbringen, falls sie es selbst braucht. Ich sage ihr, sie soll uns später erwarten.«
»Du kommst also gleich wieder?«
»Ja.«
Ich fuhr rasch nach Hause, warnte Emily, die der Erschöpfung nahe war, dass meine Familie auf einen Aperitif vorbeikommen würde, und kehrte wieder zum Ocean View zurück, wo wir zwei nicht unangenehme Stunden damit zubrachten, die Koffer auszupacken und uns gegenseitig aufzuziehen.
Um sechs Uhr gingen wir zu Fuß die sechs Blocks vom Hotel zu Emilys Haus. Obwohl wir in Santa Monica waren – wo man gelegentlich sehen konnte, dass Menschen ohne Fahrzeug von A nach B gelangten –, war doch der Anblick von fünf Menschen, die sich auf ihren Hinterbeinen vorwärts bewegten, so aufsehenerregend wie der Moment, als sich die prähistorischen Baumwesen zur Terra firma hinabwagten und beschlossen, das Gehen zu versuchen. Die Autos drosselten beim Vorbeifahren die Geschwindigkeit und die Leute
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