Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
Und noch einer. Ich musste sie einfach fragen: »Geht es Ihnen gut?«
»Nein«, sagte sie.
»Was fehlt Ihnen denn?«
Wieder brach sich ein Seufzer Bahn. Ich fühlte, wie er sich sammelte, in ihr hochstieg, ihre Brust dehnte und hinausdrängte. Das dauerte so lange, dass ich schon dachte, sie würde mir nie antworten. Dann fand sie die Worte: »Mein Mann betrügt mich.«
Gott, ich bedauerte es sofort, dass ich die Frage gestellt hatte. »Er betrügt Sie? Mit Geld?«, fragte ich voller Hoffnung.
»Nein!«
O nein, ich ahnte es doch, aber ich konnte mich nicht mit ihr über untreue Ehemänner unterhalten.
»Er hat eine neue Liebe gefunden.«
Mit Entsetzen sah ich, dass ihr eine Träne die Wange hinunter rann, dann noch eine und noch eine.
»Es tut mir sehr Leid, das zu hören.«
»Aber er schläft in meinem Haus und isst mein Essen und telefoniert mit dieser Hure , und ich bezahle die Rechnung.«
»Das ist ja schrecklich.«
»Ja, mein Kummer ist groß, aber ich bin stark!«
»Sehr gut.«
Dann warf sie zum ersten Mal überhaupt einen Blick auf mein Haar. »Der Pony ist zu lang«, sagte sie bekümmert.
»Nein, nein, der ist gerade richtig so!«
Doch es war zu spät. Sie griff nach der Schere und fing an, zu schneiden, und währenddessen füllten sich ihre Augen mit Tränen und trübten ihre Sicht. Trübten ihre Sicht .
Es war das Werk von zwei, drei Sekunden, dann war der Schaden angerichtet. In einem Moment hatte ich einen normalen Haarschnitt, im nächsten verlief mein Pony diagonal über die Stirn, als wäre ich eine der New Romantics. An der kürzesten Stelle war er nicht länger als zwei bis drei Zentimeter. Entsetzt starrte ich in den Spiegel. Reza hätte mir gleich einen Irokesen-Schnitt verpassen können.
Doch was konnte ich sagen? Ich konnte ihr wohl kaum Vorwürfe machen, einer Frau in ihrer Situation. (Ich würde ihr ohnehin keine Vorwürfe machen. Schließlich wissen wir alle, dass es schwieriger ist, einer Friseurin die Meinung zu sagen, als ein Kamel durch ein Nadelöhr zu bekommen.)
Mir war regelrecht übel, als ich bezahlte; ich presste die Hand auf die Stirn und hastete nach Hause. Aber als ich an dem Haus der Ziegenbärtigen vorbei kam, riss Ethan das Fenster auf und rief: »He, Maggie, dein Pony sieht ganz schön abgedreht aus.«
Als wäre es eine Wiederholung von meinem letzten Besuch bei Reza, kamen die drei Jungen auf die Straße und begutachteten meine Frisur.
»Ich finde, es sieht cool aus«, sagte Luis.
»Ich nicht. Ich bin zu alt für experimentelle Frisuren. Habt ihr eine Ahnung, was ich machen kann?«
Luis betrachtete mich nachdenklich und sagte: »Ja.«
»Und was?«
»Lass es wachsen.«
Wenigstens hatte das Gestöhn aus Emilys Zimmer aufgehört; sie mussten eingeschlafen sein. Der Himmel hatte sich bewölkt, und es war unglaublich schwül, also drehte ich die
Klimaanlage voll auf, machte den Fernseher an und betete, dass mein Haar wachsen würde. Es war wie ein Zeichen: Ich würde Shay Delaney nie beeindrucken. Es würde einfach nicht passieren.
So gegen fünf erschien Emily in ihrem Bademantel und wanderte rauchend und gähnend umher, dann sah sie mich und stolperte fast vor Überraschung. »Was ist mit deinen Haaren passiert?«
»Reza.«
»Warum bist da wieder hingegangen?«
»Weil ich völlig bescheuert bin«, sagte ich unglücklich. »Hast du eine Idee, was man damit tun könnte?«
Sie nahm die kürzeste Strähne. »Hmmm«, sagte sie nachdenklich. »Mal sehen. Ich hole meine Sachen.«
Sie kam aus dem Bad, den Arm voller Sachen, mit denen man widerspenstiges Haar zähmt – Gel, Wachs, Spray –, und wühlte darin herum. »Ich glaube, du brauchst Glättungsfaktor zehn. Klasse A. Die harten Mittel.« Sie zeigte mir eine Dose Wachs. »Das nehmen sie bei Pferden.«
Während sie die talgartige Masse in mein Haar massierte, klingelte das Telefon, und sie sagte eindringlich: »Nimm nicht ab. Lass den Anrufbeantworter dran. Das ist bestimmt Larry Savage, der will, dass ich noch mehr umschreibe, und dann raste ich aus.«
Wir lauschten, aber jemand legte auf. »Schon wieder«, sagte Emily mit gerunzelter Stirn. »Davon hat es in den letzten Tagen ziemlich viele gegeben. Hoffentlich ist es kein Fall von Telefonterror –, das hätte mir gerade noch gefehlt. Fertig. Wie findest du es?«
Ich blickte in den Spiegel. Sie hatte meinen Pony sehr effektiv zu einer Seite gezogen, so dass es fast normal aussah.
»Fantastisch. Danke.«
»Du brauchst sehr viel Wachs
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