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Auszeit für Engel: Roman (German Edition)

Auszeit für Engel: Roman (German Edition)

Titel: Auszeit für Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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wohlerzogene Tochter streitig.
    Und dabei war Claire die größte Partygängerin unserer Zeit. Was hatte sie bewogen, ein Kind zu bekommen? Ich fragte sie und hoffte, sie würde mir anvertrauen, dass James, ihr Mann, gesagt habe, es sei eine gute Methode, um Steuern zu sparen. (So einer war James nämlich.) Aber der sachlichste Grund, den sie vorbringen konnte, war: »Es fühlte sich richtig an.« Das gefiel mir; wenn es sich für eine Wilde wie Claire irgendwann »richtig anfühlte«, dann würde mit Sicherheit der Zeitpunkt kommen, wenn es sich für mich auch »richtig anfühlen« würde.
    Kurz vor Claires Termin war ich zufälligerweise geschäftlich in London. Es war Monate her, dass ich sie gesehen hatte, da
ich ja in Chicago lebte, und als sie mich von der U-Bahn abholte, erkannte ich sie kaum. Sie war riesig, mit Sicherheit die schwangerste Frau, die ich je gesehen hatte – und sie war stolz, aufgeregt, und brannte darauf, mich an allem teilhaben zu lassen. Kaum waren wir in ihrer Wohnung angekommen, sagte sie fröhlich: »Sieh mich an, meinen RIESIGEN Bauch!« Dann zog sie sich das T-Shirt hoch und zeigte sich mir in voller Größe.
    Einerseits freute ich mich, dass sie so glücklich war, aber andererseits sah ich mir ihren enormen, von blauen Adern durchzogenen Bauch an und fand die Vorstellung, dass darin ein Kind war, sehr beklemmend. Doch noch beklemmender war der Gedanke, dass es heraus musste, und zwar durch eine Öffnung, für die es viel zu groß war.
    Was mochte die Natur sich dabei wohl gedacht haben? Die Entstehung menschlichen Lebens und der Vorgang der Geburt waren nicht ihre besten Einfälle – eher stellten sie das biologische Äquivalent von gemeinster Unterdrückung dar.
    Das Gute daran, dass ich in die Wohnung einer Hochschwangeren kam, waren all die Futtersachen. Solche, die auf merkwürdige Gelüste hindeuteten. Zum Beispiel gab es eine alte Keksdose, die eine richtige Schatztruhe voller verschiedener Schokoriegel war, und der Gefrierschrank war brechend voll mit Eis.
    Wir machten es uns vor der Keksdose gemütlich und futterten uns durch den Vorrat. (Das dauerte seine Zeit.) Dann streckten wir uns auf ihrem Bett aus und machten den Fernseher an. Aber vorher zog Claire sich ihr T-Shirt aus. Warum auch nicht? Schließlich war es ihr Zuhause. Und warum sollte es ihr etwas ausmachen, sich vor mir auszuziehen? Ich bin schließlich ihre Schwester. Aber während ich mir den Hals verrenkte, um die Mattscheibe über ihren Bauch hinweg zu sehen (sagen wir mal so: Wäre es ein Film mit Untertiteln gewesen, hätte ich keine Ahnung gehabt, worum es ging) und die Wölbung, die sich vor mir wie Ayers Rock erhob, auszublenden, wünschte ich mir plötzlich, wir lebten in viktorianischen Zeiten. Ein gewisses Maß an Schicklichkeit, dagegen war doch nichts einzuwenden.
    »Ich hätte das vorletzte Bounty nicht essen sollen. Jetzt hat sie einen Schluckauf«, sagte sie zärtlich, und tatsächlich ging in regelmäßigen Abständen ein Zucken durch ihren Bauch.
    »Möchtest du mal anfassen?«, fragte sie. Hätte sie mich gefragt, ob ich meine Hand in einen Mixer stecken wollte, wäre ich genauso begeistert – wenn nicht begeisterter – gewesen, aber ich wusste nicht, wie ich das Angebot ablehnen konnte, ohne sie zu beleidigen.
    Ich streckte meine Hand aus und überließ sie Claires Führung. Als sie sie auf ihren Bauch legte, durchfuhr mich ein Schauder vom Arm bis in meinen Kopf. Ich konnte nichts dafür. Lieber hätte ich einen Truthahn ausgenommen.
    Sie führte meine Hand über einen Knubbel. »Fühlst du das? Das ist ihr Kopf«, sagte Claire, und ich hatte Mühe, ein Wimmern zu unterdrücken.
    Und dann, als wenn das nicht schon alles zu viel für mich wäre, ergänzte Claire: »Sie könnte jeden Moment kommen.«
    Mir brach der Schweiß aus. Nicht heute nacht, lieber Gott , betete ich. Bitte, lieber Gott, lass sie nicht heute nacht kommen .
    Claire hatte immer geschworen, sollte ihr je »das Unglück beschieden sein«, ein Kind zu bekommen, so würde sie sich beim Einsetzen der Wehen Heroin geben. Doch als ich sie jetzt vorsichtig fragte, welche Verteidigungsmaßnahmen sie vorbereitet hatte, um gegen die Wehenschmerzen anzugehen – Pethidin? Vollnarkose? Heroin? –, schüttelte sie den Kopf und sagte: »Nada.« Mein Entsetzen muss mir ins Gesicht geschrieben gewesen sein, denn sie lachte laut auf und erklärte: »Dieses Kind zu bekommen ist das Aufregendste, was mir je widerfahren ist. Ich möchte

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