Auszeit für Engel: Roman (German Edition)
dabei hellwach sein.«
Offenbar war sie zu den Natürlichkeitsaposteln übergelaufen, und das fand ich seltsam tröstlich. Wenn jemand wie Claire sich eine natürliche Geburt vorstellen konnte, dann gab es für einen Angsthasen wie mich noch Hoffnung.
Dennoch war ich am nächsten Morgen, eine ganze Stunde bevor ich gehen musste, fertig angezogen, und selbst die Reize der Keksdose konnten mich nicht zum Verweilen verführen. Claire wanderte gähnend in der Wohnung herum und sagte immer wieder: »Gleich explodiere ich.« Dann ging sie mit
mir zum Auto und fuhr mich zur U-Bahn, und als ich das Schild über dem Eingang sah, wurde mir schwindlig vor Erleichterung. Lange bevor sie anhielt, hatte ich schon die Beifahrertür aufgemacht, und mein Fuß schrammte über den Bordstein, dass die Funken stoben.
Als ich raussprang, platzte es aus mir heraus: »Vielen Dank für die ganzen Schokoriegel, und alles Gute bei den wahnsinnigen Schmerzen während der Geburt.«
Das hatte ich nicht sagen wollen. Ich versuchte es erneut. »Viel Glück bei den Wehen.«
Sie kriegte ihr Kind zwei Tage später, und so sehr ich sie auch bedrängte, sie wollte nicht zugeben, dass die Schmerzen besonders schlimm gewesen waren. Ungefähr zu dem Zeitpunkt erkannte ich, dass es so etwas wie eine Verschwörung gab. Jedesmal wenn ich versuchte, eine Frau, die ein Kind bekommen hatte, nach den Schmerzen und den Schmerzmitteln auszufragen, gab sie keine Auskunft. Stattdessen sagte sie nur mit einem verklärten Ausdruck: »Na ja, es hat schon ein bisschen gezogen, aber danach hast du ein Baby. Ein BABY, verstehst du? Du hast ein neues Leben in die Welt gesetzt, das ist ein Wunder!«
Ich rechnete damit, dass meine Angst im Lauf der Zeit schwinden oder dass ich sie überwinden würde. Deswegen sagte ich mir, dass ich mit dreißig ein Kind bekommen würde. Vermutlich dachte ich, dreißig sei so weit weg, dass ich es nie erreichen würde.
21
D ie Krise in Santa Monica dauert nun schon den zweiten Tag an …« Wie üblich schreckte ich mit einem Ruck aus dem Schlaf und hörte Emily, die mit sich selbst sprach. »… es sieht schlecht aus im Haus, die Moral der Geiseln ist auf dem Nullpunkt …«
Ich konnte daraus folgern, dass Mort Russell nicht mitten in der Nacht mit einem fertigen Vertrag in der Tasche aufgekreuzt war.
Doch kurz nachdem ich aufgestanden war, rief jemand an. Dieser Jemand bewirkte, dass Emily ununterbrochen kicherte und sich dabei eine Haarsträhne um den Finger wickelte, während sie mit ihm sprach. Es war Lou, den sie bei dem Abendessen kennen gelernt hatte, bei dem der Organhändler ihr Partner gewesen war.
»Ich treffe mich heute Abend mit ihm«, sagte sie, als sie auflegte. »Er hat zwei Wochen gebraucht, um sich aufzuraffen und bei mir anzurufen, und er lässt mir keine Zeit, mich darauf einzustellen, aber das ist mir egal. Ich werde mit ihm ausgehen und mit ihm schlafen und dann nie wieder von ihm hören. So kann ich«, sagte sie mit einiger Befriedigung, »mal aufhören, dauernd an den Anruf zu denken.«
Ich guckte aus dem Fenster. »Was gibt’s da zu sehen?«, fragte Emily.
»Curtis. Er ist mal wieder im Autofenster stecken geblieben.«
Ich guckte noch einen Moment. »Sie rufen nach uns.«
»Oh, verdammt!«
Nachdem wir Curtis freibekommen hatten – diesmal wollte er aus dem Auto raus, nicht ins Auto rein –, gingen wir wieder nach Hause. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, den Vormittag in der Santa Monica Mall zu verbringen – meine Knie sahen in dem Jeansrock immer noch komisch aus –, doch dann fing Emily an, einen Arm voller Reinigungsmittel unter dem Spülbecken hervorzuholen und sich Gummihandschuhe anzuziehen. Hausarbeit! Da ich schließlich mietfrei bei ihr wohnte, fühlte ich mich verpflichtet zu helfen. Oder es wenigstens anzubieten, in der Hoffnung, dass sie ablehnen würde. Doch zu meiner Enttäuschung sagte sie: »Wenn es dir nichts ausmacht, der Fußboden müsste mal wieder gewischt werden.«
Na ja, ein bisschen Bewegung würde mir gut tun. Als ich Wasser und Reinigungsmittel in einen Eimer gab, seufzte Emily: »Danke. Conchita kommt am Montag. Ich mag es, wenn alles schön für sie ist.«
»Wer ist Conchita?«
»Meine Putzfrau. Sie kommt alle zwei Wochen. Sie rastet aus, wenn es nicht sauber ist.«
Es hatte keinen Zweck, diese unlogische Argumentation zu zerpflücken. Ich kenne schließlich niemanden, der nicht sauber macht, bevor die Putzfrau kommt. Ich fing an, den Dielenboden zu
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