Autobiografie einer Pflaume - Roman
hat gesagt:«So ein Geburtstag ist doch nichts Besonderes, eine Kerze mehr auf dem Kuchen, und manchmal gibt es nicht mal ein Geschenk, weil die Erwachsenen andere Sorgen haben, weil der Papagei krank ist und eine Spritze braucht oder die Großmutter, was weiß ich», und ich verstehe nicht, was mein zehnter Geburtstag mit der Großmutter und ihrer Spritze zu tun haben soll, und Simon sagt:«Kümmere dich lieber um deine Hausaufgaben, du hast als Mehrzahl Papageie statt Papageien hingeschrieben», und ich bin die Hausaufgaben leid, ich würde lieber Geschenke schreiben und nicht Papageie oder Papageien oder was auch immer.
«Ich verstehe das nicht», sage ich zu Simon.«Wenn Jujube oder Alice Geburtstag haben, malen wir das Bild eine Woche im Voraus und kleben es in der Küche an die Wand, und wir gehen ins Dorf und kaufen tonnenweise Kuchen für Jujube oder Schmuck für Alice, und bei mir ist nichts los, kein einziges Bild, und alle tun so, als würde ich mein ganzes Leben lang neun Jahre alt bleiben.»
«Ist dein Geburtstag am Samstag?», fragt Simon. Ich könnte ihn schlagen.
«Ja», antworte ich ziemlich wütend.
«Na also.»
«Also was?»
«Am Samstag ist niemand da. Du gehst mit Camille zu deinem Gendarmen, und wir fahren nach Paris.»
«Was macht ihr da?»
«Wir besichtigen Gerippe im Museum.»
«Was für ein öder Ausflug», sage ich neidisch.
«Ja, total öde», sagt Simon, der sein Schulbuch anschaut, als wäre es ein Hamburger mit Pommes frites.
«Ich will keine Gerippe besichtigen», schnieft Ahmed.«Simon hat gesagt, dass sie sich manchmal einen Spaß daraus machen, Leute zu erschrecken.»
«Simon sagt jede Menge Blödsinn. Die Gerippe haben nicht genug Kraft, um dich zu erschrecken, weil sie schon lange tot sind.»
«Bist du sicher?», fragt Ahmed.
«Nein.»Und ich wedle als Schlabbergerippe mit den Armen und stürze mich auf Ahmed, der losschreit, bevor er den Kopf unter der Bettdecke versteckt.
«Icare!», ruft Charlotte, die ein Lineal in der Hand hält.«Verstehst du das unter Hausaufgaben?»
Die Erwachsenen sagen einem nie Bescheid, bevor sie ins Zimmer kommen. Sie könnten doch an die Tür klopfen oder sich Glöckchen an die Schuhe binden, oder was weiß ich, damit wir Zeit hätten, schnell in unseren Heften herumzukritzeln.
«Einzahl: Papagei, Mehrzahl: Papageie, so, so», sagt sie, und ihr Lineal saust auf das Heft, als läge die Schuld bei ihm.«Kannst du dir nicht merken, dass die Mehrzahl von Papagei Papageien lautet und nicht Papageie, wie ich es dir schon mehrmals erklärt habe und Monsieur Paul vor mir sicher auch schon?»
«Aber Monsieur Paul schlägt das Heft nicht mit dem Lineal», sage ich.
«Wäre dir lieber, es träfe deine Finger?»
«Ööh, nein, aber Geschenk, das heißt doch in der Mehrzahl auch Geschenke und nicht Geschenken, oder kriegt die Großmutter eine Spritze?»
«Die was? Was soll das denn heißen? Manchmal verstehe ich
dich wirklich nicht. Selbstverständlich heißt es Geschenke, aber Spritzen und Großmütter.»
«Was hat diese ganze Grammatik mit der Wirklichkeit zu tun?», sage ich ein bisschen eingeschnappt.
«Ach, jetzt spielt der kleine Mann die beleidigte Leberwurst, wenn ihm etwas erklärt wird!»
«Von Samstag an bin ich nicht mehr klein», sage ich ganz stolz.
«Tja, dann wirst du mir bis dahin hundertmal das Wort Geschenke schreiben. Die anderen gehen jetzt bitte draußen spielen, und du, Ahmed, tust mir den Gefallen und nimmst die Decke vom Kopf, denn darunter wirst du die Mehrzahl ganz sicher nicht finden.»
Und da sitze ich und muss als Strafarbeit hundertmal das Wort Geschenke schreiben, während meine Freunde draußen spielen, und so viele Geschenke bekomme ich am Samstag garantiert nicht, und vielleicht vergisst Raymond am Ende auch noch den Kuchen und die Kerzen wegen der Spritze für seine Großmutter, und das finde ich ganz und gar nicht in Ordnung.
Ich sitze im Büro von Madame Papineau, die so tut, als würde sie irgendwelche Unterlagen lesen.
Ab und zu schaut sie zu mir und lächelt.
Raymond ist am Telefon.
«Freust du dich, dass du am Samstag zu mir kommst?»
«Ja. Raymond, sag mal, hast du eine Großmutter?»
«Eine Großmutter? Nein, leider nicht, mein Junge, sie ist schon im Himmel. Aber wie komisch, dass du mich das fragst, denn Victors Großmutter kommt uns für eine Woche besuchen. Du musst wissen, dass sie ein bisschen schwerhörig ist; man muss ihr ganz laut ins Ohr schreien.»
«Und
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