Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Autobiografie eines Lügners

Autobiografie eines Lügners

Titel: Autobiografie eines Lügners Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Chapman
Vom Netzwerk:
zurück von einer Show, die ich oben im Norden gemacht hatte, und wollte in Leicester bei ihnen vorbeischauen. Es war dann zu spät, sie zu besuchen und rechtzeitig zurück in London zu sein, also rief ich sie von einer Autobahntankstelle aus an und erklärte, daß ich nicht kommen konnte. Am Ende des Gesprächs sagte mein Vater: »Ach, Graham, deine Mutter ist seit einer Woche ein bißchen aufgebracht, und ich weiß, weshalb. Sieh mal, mach dir keine Sorgen, sie versteht sowas nicht.« Mir ging es prima, alles war gut. Danach war David für sie wie ein weiterer Sohn, und sie haben sich seitdem absolut fabelhaft benommen.
    Aber es ist sehr schwer, seinen Eltern sowas beizubringen. Man sollte es trotzdem tun. Was hat es für einen Sinn, Sachen zu verbergen und Lügen zu verbreiten? Das habe ich gehaßt, und das Vertuschen. Ich mußte mich am Telefon und im Gespräch ständig vorsehen.
    »Was ist denn morgen angesagt?«
    »Och, morgen wollen wir …«
    »Was meinst du mit ›wir‹?«
    »Ach so, ha, ha, tut mir leid, ich meinte: ›ich‹.«
    Ich möchte niemanden zur Lüge ermuntern, 50 aber darauf muß man aufpassen –, das WIR: »Och, wir sitzen gerade zu Hause und sehen fern –, äh, ich sitze gerade zu Hause und sehe fern.«
    Ich hatte von der Gay-Liberation-Bewegung durch einen Freund namens Jürgen erfahren, dessen Vater ein deutscher Stahlfabrikant war, der im letzten Krieg viele Waffen hergestellt hatte –, mehr hatten nur noch die Krupps geschafft. Ich schweife kurz ab, aber er erzählte mir, nach dem Krieg hätten die Amerikaner den Schulkindern in Deutschland regelmäßig Filme von den Nazi-Greueln gezeigt: Jürgen, neun Jahre alt, sah abgemagerte Leichen, in Massengräber gekippt, Menschen, an Klaviersaiten aufgehängt, und andere ekelerregende Possen aus Auschwitz, Dachau usw. Deutschen Erwachsenen solche Filme zu zeigen, war ein bißchen, wie wenn man einen Hund mit der Nase in seinen eigenen Schmutz stößt: eine schlechte Politik. Es ist besser, freundlich zu dem Hund zu sein –, ihm zu zeigen, wie man sich anständig benimmt, und ihn dann zu belohnen. Aber so etwas Kindern anzutun, konnte Freud erbleichen lassen.
    Jedenfalls war Jürgen der erste Mann, mit dem ich ging, für den ich im Herzen irgendeine Art Liebe empfand, seit ich David kennengelernt hatte. Wir waren beide damals achtundzwanzig oder neunundzwanzig. Er leitete in der Ebury Street ein Restaurant, in das David und ich praktisch jeden zweiten Abend gingen –, und Jürgen war es, der mich mit der Tatsache bekannt machte, daß es Treffen der Gay Lib gab.
    Eines Abends war eine amerikanische Dame mit einem bezahlten Begleiter von einem Escort-Service in Jürgens Restaurant. Sie war allein in London, reich, mittelalt, blaugespültes Haar, Typ rechtskonservative Daughter of the American Revolution . Sie amüsierte sich prächtig, es war ihr letzter Abend in der Stadt. Offenkundig würde sie bei ihrem ziemlich jungen Begleiter nicht landen können, aber sie hatte Spaß. Sie war im Theater gewesen, genoß London –, weil London ganz schön swingte, und es gab die Fab Four, Sergeant Pepper, A Whiter Shade of Pale, um nur zwei zu nennen, alle fühlten sich entspannt und auch reicher. Ich fing gerade an, selbst ein bißchen Geld zu verdienen, und war deshalb tapferer als je zuvor. Doch um auf die blaugespülte Dame und den Begleiter zurückzukommen … Am Tisch gegenüber saß eine Gruppe, doch, man konnte sie sehr gut »Tunten« nennen, die sehr gespreizt und überlegen taten. Sie waren viel intellektueller als diese eher derbe Dame am Tisch gegenüber. Die Kommentare, die sie machten, waren wirklich ziemlich ärgerlich. Ich kann mich nicht genau an sie erinnern, aber an der Atmosphäre um den Tisch herum merkte man, daß sie reichlich spotteten, und das ärgerte mich. Also nahm ich eine Rose von meinem Tisch, ging zu der Dame und gab sie ihr. Das versetzte sie in freudige Erregung: daß jemand von einem anderen Tisch einfach ankommt und ihr eine Rose überreicht, weil sie ein netter Mensch ist: das hat sie absolut umgehauen.
    Der Tuntentisch lachte, glaubte, ich wollte sie verulken, also ging ich hin und sagte eisig: »Das ist meine Mutter.« Sie versanken in Schweigen. »Hat jemand was über meine Mutter zu sagen?« Sie blickten ziemlich betreten drein und verzehrten danach schweigend ihre Mahlzeit. Ich ging einfach an meinen Tisch zurück und starrte sie während meines übrigen Mahles häufig feindselig an.
    Ich hatte etwas Geld

Weitere Kostenlose Bücher