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»ja.«
Miller erwiderte Sloanes finsteren Blick. »Ich habe meinem Vater mein Leben lang vertraut und ihn respektiert. Falls, was ich mir nicht vorstellen kann, die Vorwürfe des Justizministeriums tatsächlich begründet sein sollten... falls mein Vater tatsächlich getan haben soll, was ihm aufgrund dieser angeblich eindeutigen Beweise angelastet wird...«
»Finden angesichts dessen auch Sie, daß er dann für seine Verbrechen bestraft werden sollte?«
»Selbst mein Vater...«, Miller kämpfte mühsam gegen ein Gefühl heftiger Übelkeit an. »Vorausgesetzt, er ist schuldig, darf auch mein Vater keine Gnade finden.«
4
Trotz des dichten Feierabendverkehrs brauchte Miller für den sonst zwanzig Minuten dauernden Weg kaum mehr als zehn Minuten. Die Fahrt im Lift in die fünfte Etage hinauf schien kein Ende nehmen zu wollen. Als er die Tür zum ARCHITEKTURBÜRO MILLER UND PARTNER öffnete, mußte er feststellen, daß seine Sekretärin noch nicht nach Hause gegangen war.
»Wie war die Besprechung, Mr. Miller?« begrüßte sie ihren Chef. »Haben Sie den Auftrag bekommen?«
»Das läßt sich im Augenblick noch nicht sagen. Ich muß noch kurz etwas durchrechnen, Marge. Falls jemand anruft, ich bin nicht hier. Ich will auf keinen Fall gestört werden.«
»Werden Sie mich noch zum Diktat brauchen?«
»Nein, danke. Sie können gern Feierabend machen, wenn Sie hier fertig sind.«
»Wie Sie meinen.«
Miller betrat sein Büro, schloß die Tür hinter sich und ließ sich gegen sie sinken. Wie soll ein Mensch die Erkenntnis ertragen, daß jemand, den er liebt, eine Bestie ist?
Schweiß troff an seinen Schläfen hinunter. Scheinbar nicht enden wollende fünf Minuten später verstummte schließlich das leise Klappern des Keyboards. Miller hörte das Klicken mehrerer Computerschalter und schließlich das vage Rascheln der Schutzhülle, die über den Bildschirm gesteift wurde.
»Schönen Abend, Mr. Miller.«
»Schönen Abend«, sagte Miller durch die geschlossene Tür.
Das Stakkato hochhackiger Schuhe. Das Klicken der Türklinke. Das Zuschnappen der Eingangstür.
Stille.
Erleichtert atmete Miller aus und starrte auf den Safe in der Ecke, in dem er seine Entwürfe aufbewahrte. Als ihm vor zwei Tagen die grauenerregenden Fotos mit den Bergen von Leichen zugesandt worden waren, hatte er sie, einem spontanen Impuls nachgebend, vernichten wollen. Doch dann hatte ihn sein Instinkt zur Vorsicht geraten. Bei den Fotos handelte es sich ganz offensichtlich nicht nur um einen dummen Streich. Wenn er sie vernichtet hätte, wären damit vielleicht auch wichtige Anhaltspunkte hinsichtlich der Identität ihrer Absender vernichtet worden.
Inzwischen wünschte er sich jedoch wieder, sie ein für allemal aus der Welt geschafft zu haben - aus Angst vor der grausigen Wahrheit, mit der er möglicherweise konfrontiert werden würde. Er kniete vor dem Safe nieder, drehte an der Kombination und nahm die Fotos heraus. Eine nach der anderen studierte er die Schwarzweißaufnahmen.
Tod. Nichts als Tod.
Er hatte Sloane belogen. Allerdings nur in einem Punkt. Doch diese kleine Lüge war in keinem Verhältnis zum Rest der schrecklichen Wahrheit gestanden.
Ja, hatte er wahrheitsgemäß geantwortet, ich wußte, daß mein Vater aus Deutschland kam. Ich wußte, daß er seinen Namen geändert hatte. Ich wußte, daß er deutscher Soldat gewesen war.
Ja, Soldat. Miller war sich jedoch auch im klaren darüber gewesen, daß sein Vater kein unschuldiger Mitläufer gewesen war, der als blutjunger, unerfahrener Rekrut gleich zum Unteroffizier befördert worden war.
Sein Vater war Obersturmbannführer der SS gewesen.
Mit zunehmendem Alter hatte Millers Vater sich mehr und mehr mit seiner Vergangenheit beschäftigt. An ein paar bestimmten Tagen, die für ihn von nicht näher erläuterter persönlicher Bedeutung waren - am 30. Januar, am 20. April und am 8. November -, war er zusehends von sentimentalen Anwandlungen überkommen worden. An besagten Tagen hatte sein Vater darüber hinaus eine Reihe von geheimnisvollen Telefongesprächen geführt. Und eines Nachts, zu vorgerückter Stunde, hatte der Vater seinem Sohn schließlich gestanden, was er im Krieg getan hatte.
»Ja, ich war bei der SS. Ich habe die Anordnungen des Führers befolgt. Ich habe an die arische Herrenrasse geglaubt. Und ich habe auch daran geglaubt, daß dieser Herrenrasse der nötige Lebensraum verschafft werden müsse. Aber ich habe nie an die Vernichtung von Zugehörigen anderer
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