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sah er, wie ihm mehrere junge Männer des Dorfes folgten. Das Knattern ihrer M-16-Gewehre wurde von den Kalaschnikows der Angreifer erwidert. Eine zweite Handgranate explodierte in dem Haus, das durch eine erste bereits halb zerstört war. Als diesmal eine Seitenmauer einstürzte, hörte Saul keine Schreie mehr nach draußen dringen. Mit gesteigerter Wut rannte er im Bogen auf den Rest der Angreifer zu, schoß sein Magazin leer, lud nach, schoß auch das neue Magazin leer, hob eine Kalaschnikow vom Boden auf, die ein fliehender Angreifer hatte fallen lassen, schoß auch sie leer, griff nach der M-16, die sein zweitbester Schüler im Tod weggeworfen hatte, leerte auch ihr Magazin und tötete dann einen Angreifer, der sich ihm in den Weg stellte, mit bloßen Händen.
Die Schüsse verstummten. Saul starrte auf den Toten zu seinen Füßen, während seine Schüler sich im Siegestaumel um ihn zu scharen begannen.
»Halt! Nicht in einer Gruppe zusammenstehen! Verstreut euch! Geht in Deckung! Wir wissen noch nicht, ob wir alle erwischt haben.«
In Befolgung seiner eigenen Befehle hechtete Saul in einen Graben. Gleichzeitig verfluchte er sich für seine Gründlichkeit, obwohl er nichts lieber getan hätte, als sich auf der Stelle zu vergewissern, daß Erika und seinem Sohn nichts zugestoßen war.
Statt dessen zwang er sich, den anderen mit gutem Beispiel voranzugehen. Dann teilte er seine Schüler in Gruppen auf und ließ sie die Siedlung systematisch durchkämmen.
Und erst als ihre Suche abgeschlossen war und die Zahl der Opfer des Überfalls - zehn Dorfbewohner tot, fünfzehn verletzt - feststand, gestattete Saul sich, seinen eigenen, zutiefst menschlichen Bedürfnissen nachzugehen. Zugleich war ihm jedoch bereits klar, daß sein Schicksal besiegelt war. Seine Vergangenheit hatte ihn wieder eingeholt.
Zwar hatte er unter den Gesichtspunkten seiner strengen Agentenausbildung, vollkommen korrekt gehandelt. Doch aus anderer Sicht war das, was er gerade gemacht hatte, von Grund auf verkehrt gewesen. Er hatte zugunsten seiner Verpflichtung der Dorfgemeinschaft gegenüber seine ureigensten menschlichen Gefühle hintangestellt.
Das Gebäude, das man am heftigsten unter Beschuß genommen hatte und in das zwei Handgranaten geschleudert worden waren, war sein Haus. Mit zusammengekniffenen Augen löste er sich aus der Gruppe von Dorfbewohnern, die ihn umringten, und ging auf das zerstörte Haus zu, in dem seine Frau und sein Kind Schutz gesucht hatten. Die rechte Seitenwand war eingestürzt; das Dach hing in einem verwegenen Winkel über der gähnenden Leere.
Als die erste Granate explodiert war, hatte er eine Frau aufschreien hören. Von bösen Vorahnungen geplagt, spähte er durch ein klaffendes Loch in der stehengebliebenen Wand, das ehedem ein Fenster gewesen war, ins Innere des Hauses. Die Vorhänge waren rußgeschwärzt und zerfetzt. Zu seiner Linken sah er einen hölzernen Spielzeuglastwagen, den er für seinen Sohn gebaut hatte. Daneben lagen die Scherben der Teller, die von einem nicht mehr existierenden Wandregal gefallen waren. Darüber waren die Überreste des Eßtischs verstreut. Es roch nach angesengtem Holz, verbranntem Stoff und geschmolzenem Plastik. Das herabgesunkene Dach versperrte ihm den Blick in den hinteren Teil der Küche.
Die Tür löste sich aus ihren Angeln, als er sie zu öffnen versuchte. Schwer schluckend betrat er das Haus. Er bewegte sich ganz langsam. Ihn hatte plötzlich Angst befallen, unversehens auf einen grausam zerfetzten Körper zu treten -allein der Gedanke an diese Möglichkeit hinderte ihn für einen Moment am Weitergehen. Doch er zwang sich, ein Stück Wellblech beiseitezuschieben, einen Deckenbalken aus dem Weg zu räumen und über die Überreste eines Stuhls zu steigen. Aber er sah kein Blut, und die Hoffnung ließ sein Herz rascher schlagen.
Er riß eine Wellblechplatte des Dachs weg, warf sie durch die offene Tür ins Freie, räumte gebückt weiteren Schutt aus dem Weg. Noch immer keine Spuren von Blut. Er stemmte sich gegen den Teil des Dachs, der in die Küche herabhing, und drückte ihn so weit zur Seite, daß der Blick auf den Teil der Küche freigegeben wurde, in den er bisher nicht hatte sehen können.
Mit zusammengekniffenen Augen spähte er in das Halbdunkel, ohne irgendwo eine Leiche zu erkennen. Er brach sich zwei Fingernägel ab, als er die gut getarnte Bodenluke öffnete. Mit blutigen Fingern ließ er den Lukendeckel gegen die Wand sinken und starrte in das dunkle
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