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wird?«
»Heute war es das gewiß nicht.«
Der Hauptmann warf einen kurzen Blick auf die mit M-16-Gewehren bewaffneten Jugendlichen. »Wo sind die Männer des Dorfes?«
»Beim Militär«, antwortete Erika. »Oder in Jerusalem, oder Tel Aviv. Das hier ist ein Dorf von Witwen, Waisen und verlassenen Frauen. Es konnte sich nur mit Mühe über Wasser halten, als wir hierher kamen.«
»Aber genau so etwas haben wir gesucht«, fiel Saul ein. »Irgendein gottverlassenes Nest am Ende der Welt. Wir haben uns dann daran gemacht, die Verteidigung der Siedlung aufzubauen.«
»Wollen Sie damit etwa behaupten, diese Jüngelchen hätten nur mit Ihrer Hilfe diesen Angriff abgewehrt?«
»Alles, was sie gebraucht haben, war jemand, der ihnen etwas Mut gemacht hat.« Grinsend legte Saul zwei herumstehenden jungen Burschen die Arme um die Schultern.
»Ich habe aus gutunterrichteter Quelle erfahren«, fuhr der Hauptmann, an Saul gewandt, fort, »daß Sie einen ganz bestimmten Grund hatten, Ihrem bisherigen Beruf den Rücken zu kehren.«
»Hat Ihnen diese gutunterrichtete Quelle auch gesagt, was dieser Grund war?«
Der Hauptmann schüttelte den Kopf.
»Eine Allergie.«
»Aha. Ich habe auch gehört, daß Sie«, wandte sich der Hauptmann nun an Erika, »beim israelischen Geheimdienst hätten bleiben können. Es bestand für Sie nicht der geringste Anlaß, sich hierher zurückzuziehen.«
»Das ist nicht ganz richtig«, erwiderte Erika. »Ich hatte dafür den besten nur erdenklichen Anlaß.«
»Und der wäre?«
»In seiner Nähe zu sein.« Sie deutete auf Saul.
Der Hauptmann zog an seiner Zigarette. »Natürlich. Doch zurück zu dem Zwischenfall hier - ich werde aus dem Ganzen
nicht recht klug.«
»Mir geht es genauso«, versicherte ihm Saul.
»Zu allererst: Bei den Angreifern handelte es sich keinesfalls um eine Gruppe von Amateuren. Sie waren bestens ausgerüstet
- mit sowjetischen Waffen. Außerdem war der Überfall sorgfältig geplant. Ich hätte das Ganze vielleicht noch verstehen können, wenn der Überfall einer Siedlung in einem umkämpften Gebiet gegolten hätte - oder einem strategischen Ziel wie einem Munitionsdepot oder einem Luftwaffenstützpunkt. Aber weshalb dieser enorme Aufwand für ein Dorf voller Witwen, Waisen und alleinstehenden Frauen? Achtzig Kilometer von der Grenze entfernt? Was hat das zu bedeuten?«
»Darüber habe ich mir auch schon den Kopf zerbrochen«, erklärte Saul.
3
Bei Sonnenuntergang traf eine verstaubte Limousine im Dorf ein. Saul saß vor den Trümmern seiner Behausung an einem kleinen Feuer und löffelte einen Teller Hühnersuppe. Erika fütterte den kleinen Christopher.
Soldaten kamen aus ihrer Deckung hervor und gaben dem Fahrer der Limousine zu verstehen, er solle am Dorfrand anhalten. Der Wagen war zu weit entfernt und seine Windschutzscheibe zu staubig, als daß Saul hätte erkennen können, wer hinter seinem Steuer saß. Die Soldaten sprachen kurz mit dem Fahrer, überprüften seine Papiere und deuteten schließlich auf Sauls zerstörtes Haus. Der Wagen fuhr wieder an.
Saul stand auf. »Erkennst du den Wagen?«
Erika schüttelte den Kopf. »Du?«
»Langsam wird es mir hier im Dorf etwas zu voll.«
Fünf Meter von Saul entfernt, blieb der Wagen stehen. Die Bewohner der umliegenden Häuser starrten ihn argwöhnisch an. Der Fahrer stellte den Motor ab. Ein Mann stieg aus.
Er war etwa einsachtzig groß und schlank; seine Schultern waren leicht nach vorn gezogen. Er trug einen zerknitterten Anzug. Sein Hemdkragen stand offen; die Krawatte baumelte lose herunter. Er hatte einen Schnurrbart und einen zurückweichenden Haaransatz. Saul schätzte sein Alter auf Ende dreißig; gleichzeitig mutmaßte er, daß seine hagere Statur auf seine enormen, mühsam im Zaum gehaltenen Energien zurückzuführen war. Dieser Mann erweckte den Eindruck, als verbrenne er ständig eine Unmenge von Kalorien, auch wenn er nur am Schreibtisch saß - eine Tätigkeit, auf die seine vorgebeugten Schultern hindeuteten.
Grinsend trat der Mann auf Saul zu. Zwar hatte Saul ihn noch nie zuvor gesehen, aber das freudige Leuchten in den Augen des Fremden wies darauf hin, daß dieser ihn kannte.
Im selben Augenblick wurde Saul sein Irrtum auch schon bewußt.
Nicht er war es, den der Fremde kannte.
Es war Erika.
Ihre Augen leuchteten in genau derselben Wiedersehensfreude auf, und ihre Stimme war zu einem Wispern fassungslosen Staunens erstorben. »Misha?«
»Erika.«
Sie eilte auf den Fremden zu und
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