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umarmte ihn. »Misha!« schluchzte sie.
Saul entspannte sich wieder, als er den Namen hörte. Wenn er sich nicht täuschte, lautete der Nachname des Fremden Pletz. Obwohl er den Träger dieses Namens nie persönlich kennengelernt hatte, stand er tief in Mishas Schuld; auf Erikas Bitten hin hatte Misha ihm und seinem Blutsbruder Chris vor drei Jahren mehrere große Gefälligkeiten erwiesen.
Er wartete also geduldig, bis Erika sich wieder von Misha gelöst hatte. Erst dann trat er mit Christopher auf seinem linken Arm vor und streckte dem Neuankömmling seine Rechte entgegen. »Willkommen! Darf ich Ihnen einen Teller Suppe anbieten?«
Mishas Händedruck war kräftig. »Nein, besten Dank. Ich habe unterwegs zwei belegte Brote gegessen. Allerdings habe ich davon nur Sodbrennen bekommen.«
»Ich habe mich schon oft gefragt, wie Sie wohl aussehen.«
»Mir ging es genauso. Was Ihren Bruder betrifft - nachträglich mein aufrichtiges Beileid.«
Saul nickte nur. In ihm stiegen schmerzliche Erinnerungen auf.
»Weshalb bist du nicht in Washington, Misha?« wandte Erika sich an den Besucher.
»Vor zwei Jahren wurde ich wieder zurück nach Tel Aviv versetzt. Ehrlich gestanden, habe ich darum ersucht. Meine Heimat und meine Eltern haben mir einfach zu sehr gefehlt. Außerdem ging die Versetzung mit einer Beförderung einher. Ich kann also nicht klagen.«
»Welchen Posten hast du denn jetzt?« wollte Erika wissen.
Misha ergriff die Hand des kleinen Christopher. »Wie geht es dir, kleiner Mann?«
Christopher kicherte.
Die Art, in der Misha Erikas Frage ausgewichen war, ließ Saul nichts Gutes ahnen.
»Ein Prachtkerl von einem Jungen«, bemerkte Misha, um dann seinen Blick über die Trümmer von Sauls Behausung gleiten zu lassen. »Ach, ihr seid gerade beim Umbauen?«
»Ja, die Tapezierer waren heute da«, erwiderte Erika.
»Das habe ich bereits hört.«
»Allerdings waren wir mit ihrer Arbeit nicht ganz zufrieden, weshalb wir sie leider kurzerhand auf die Straße setzen mußten.«
»Auch das habe ich bereits gehört.«
»Ist das der Grund Ihres Kommens?« wollte Saul wissen.
Misha betrachtete ihn eingehend. »Wenn ich vielleicht doch einen Teller Suppe bekommen könnte?«
Sie ließen sich um das kleine Feuer nieder. Nach Sonnenuntergang war es in der Wüste merklich kühler geworden, so daß die Flammen angenehm wärmten.
Misha aß nur drei Löffel Suppe. »Ich wußte sogar schon in Washington«, wandte er sich an Erika, »daß ihr euch hier niedergelassen habt. Und nach meiner Rückkehr nach Tel Aviv hielt ich mich ständig über euch auf dem laufenden.«
»Demnach sind also Sie jene >gutunterrichtete Quellec, von der ich den Hauptmann ständig sprechen gehört habe«, schaltete Saul sich ein. Er deutete auf den Offizier, der mit einem der Wachposten am Dorfrand sprach.
»Ich hielt es für angeraten, ihm zu sagen, daß auf euch beide Verlaß ist. Ich schärfte ihm ein, euch in Frieden zu lassen, aber bereitwillig auf eure Vorschläge einzugehen, falls ihr mit solchen an ihn herantreten solltet. Ich wollte mich möglichst wenig einmischen.«
Saul beobachtete Misha beim Sprechen genau.
»Doch nach den höchst ungewöhnlichen Ereignissen des heutigen Tages«, fuhr Misha fort, »war natürlich zu erwarten, daß er sich zwecks einer Rücksprache wieder mit mir in Verbindung setzen würde. Schließlich ist dieser Überfall mit einigen höchst merkwürdigen Ungereimtheiten verbunden. Damit meine ich nicht nur die offensichtliche Sinnlosigkeit, ein Dorf anzugreifen, das so weit von der Grenze entfernt liegt und darüberhinaus von keinerlei wirtschaftlicher oder strategischer Bedeutung ist.«
»Sie meinen also die Fingernägel?« kam Saul ihm zuvor.
Misha hob die Augenbrauen. »Demnach ist es also auch Ihnen aufgefallen? Warum haben Sie dem Hauptmann gegenüber nichts davon erwähnt?«
»Ich wollte erst sehen, wieviel er von seinem Geschäft versteht, um dann entscheiden zu können, in welchem Umfang ich mich auf ihn verlassen könnte.«
»Nun, er versteht durchaus etwas von seinem Geschäft«, entgegnete Misha. »Und er war immerhin so vernünftig, seinen Verdacht nur mir mitzuteilen, damit ich entscheiden könnte, wie wir im weiteren vorgehen sollen.«
»Warum reden wir eigentlich noch länger um den heißen Brei herum«, meinte Saul leicht ungeduldig. »Die Männer, welche die Siedlung angegriffen haben, waren keine normalen Guerillas. Ihre Kleidung wirkte zwar abgetragen, aber ihre Stiefel und ihre Gewehre
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