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allem sind mir jedoch seine Hände aufgefallen.«
»Was war mit ihnen?«
»Er ging außergewöhnlich sorgsam mit ihnen um. Als er zum Holzhacken Handschuhe anzog, dachte ich mir erst noch nichts. Aber als er dann die Handschuhe auszog und mit mir zu Abend aß, fiel mir auf, wie zart und gepflegt seine Hände im Vergleich zu seiner robusten Statur waren. Er war von der Sonne gebräunt, aber an seiner linken Hand - hier an seinem Mittelfinger - war ein weißer Streifen zu erkennen, als hätte er an dieser Stelle sonst immer einen Ring getragen. Ich verstehe noch immer nicht, warum er diesen Ring abgenommen haben könnte. Wer weiß? Vielleicht hat er ihn auch nur verloren.«
»Aber weshalb schlossen Sie daraus, der Mann könnte Geistlicher gewesen sein?« entgegnete Erika verwundert.
»Lassen Sie mich doch erst zu Ende erzählen«, erklärte die Frau unwirsch. »Nach dem Essen zog er seine Handschuhe wieder an und erbot sich, mir noch im Stall zu helfen. Da es dort einiges zu tun gab, erklärte ich mich einverstanden und versprach ihm dafür ein ausgiebiges Frühstück.« Sie deutete auf den Stall, der sich an das Wohnhaus anschloß. »Er arbeitete länger, als ich erwartet hatte. Ich ging deshalb nach ihm sehen und ertappte ihn dabei, wie er ein kleines schwarzes Buch in seinem Rucksack verschwinden ließ. Und dann war mir alles klar.«
»Was?« fragte Erika perplex.
Saul verstand, was die Frau hatte sagen sollen. »Bei dem kleinen schwarzen Buch handelte es sich vermutlich um ein Brevier«, erklärte er Erika. »Es enthält die Gebete, die ein katholischer Geistlicher täglich lesen muß.« Er wandte sich der blonden Frau zu. »Aber haben Sie dieses schwarze Büchlein denn auch aus der Nähe gesehen?«
»Erst nicht«, antwortete die Frau. »Aber in der Nacht bin ich in sein Zimmer geschlichen und habe seinen Rucksack durchsucht. Das schwarze Büchlein war tatsächlich ein Brevier.«
»Sie haben seinen...?«
»Sie halten mich wohl für sehr unverschämt? Aber was sollte ich dann wohl erst von meinem Gast denken? Er hat nämlich heimlich sein Zimmer verlassen und ist zu Avidans Hütte dort oben hinaufgeschlichen, um sie zu durchsuchen.« Ihr Gesicht wurde rot vor Ärger. »Ich hatte in der Hütte nichts verändert, es bestand schließlich immer noch die Möglichkeit, daß er eines Tages wieder zurückkehren würde. Und da sonst niemand Interesse gezeigt hatte, die Hütte zu mieten, machte ich mir nicht die Mühe, seine Sachen wegzuräumen. Wo hätte ich sie außerdem unterbringen sollen? Als ich also auch zu der Hütte hochschlich, hörte ich den Geistlichen in der Hütte rumoren. Er zog alle Schubladen heraus. Durch einen Spalt in den Fensterläden konnte ich den Lichtschein einer Taschenlampe erkennen.«
»Was haben Sie darauf getan?«
»Was hätte ich denn tun sollen? Ich, eine alleinstehende Frau? Ich schlich ins Haus zurück und tat so, als hätte ich nichts gehört und gesehen. Und auch mein seltsamer Gast ließ sich nichts anmerken, als er am nächsten Morgen zum Frühstück erschien. Ich weiß also nicht, ob er bemerkt hat, daß ich seinen Rucksack durchsucht hatte. Als ich ihm nach dem Frühstück sagte, daß ich seine Hilfe nicht weiter benötige, verabschiedete er sich, um seine Wanderung fortzusetzen. Während der nächsten Nächte behielt ich Avidans Hütte im Auge. Soweit ich das jedoch feststellen konnte, ist der Geistliche nicht mehr zurückgekehrt.«
»Und was könnte es mit dem Ring, den er abgestreift hat, auf sich gehabt haben?« fragte Erika.
»Es könnte der Siegelring seines Ordens gewesen sein«, sagte Saul. »Manche Mönche tragen Ringe mit dem Wappen ihres Ordens.«
»In seinem Rucksack habe ich jedenfalls keinen Ring gefunden«, erklärte die Frau.
»Vielleicht hatte er ihn in seine Hosentasche gesteckt.«
»Wahrscheinlich. Zwei Wochen später tauchten dann diese beiden Israelis hier auf. Sie baten mich, Avidans Hütte besichtigen zu dürfen. Sie hofften, dort irgendwelche Anhaltspunkte zu finden, wohin Avidan verschwunden sein könnte.«
»Und haben Sie es den beiden erlaubt?«
»Ja. Ich hatte nämlich das Gefühl, daß sie einfach in der Nacht wiedergekommen wären und die Hütte heimlich durchsucht hätten, wenn ich es ihnen nicht erlaubt hätte. Ich wollte das Ganze nur möglichst rasch hinter mich bringen. Außerdem hatte ich nichts zu verbergen.«
»Hatte den Avidan etwas zu verbergen?« fragte Saul.
»Sie kommen hier einfach an und wundern sich, weshalb ich
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