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daraufhin ab, bis das überschüssige Benzin verdampft war. Über den dicht bewaldeten Berghängen ragten in der Ferne schneebedeckte Gipfel auf. Unter anderen Umständen hätten sie diesen Ausblick sicher sehr genossen.
Saul klappte die Kühlerhaube zu. »Ich glaube, wir können jetzt wieder weiterfahren. Der Karte zufolge führt die Straße in das benachbarte Tal. Misha hat allerdings bereits sämtliche Personen auf seiner Liste überprüfen lassen. Seine Leute müssen also schon vor uns hier gewesen sein. Wenn sie etwas Wichtiges in Erfahrung gebracht hätten, wüßten wir bestimmt davon. Machen wir uns also lieber keine allzu großen Hoffnungen.«
»Aber irgendwo müssen wir doch anfangen.«
Sauls Stimme belegte sich. »Ganz richtig. Und wenn wir die Antwort nicht hier finden, dann eben anderswo... Jedenfalls werden wir so lange suchen, bis wir zum Ziel gekommen sind.«
Das kleine Dorf in den Schweizer Alpen südlich von Zürich hieß Weißendorf. Die etwa hundert Häuser des Orts lagen inmitten grüner Almen auf einem kleinen Plateau.
Saul stellte den Volkswagen vor einem Gasthof in der Mitte des Dorfs ab. »Wer von uns soll reingehen und fragen, wo Ephraim Avidan wohnt?« wandte er sich Erika zu.
Sie wußten beide nicht, welche Sprache in diesem Teil der Schweiz gesprochen wurde. »Dein Deutsch ist zwar besser als meines«, entgegnete Erika deshalb, »aber vermutlich spricht man hier schon Italienisch...«
»Und das sprichst du besser. Außerdem sind die Leute hier einer Frau gegenüber vielleicht etwas gesprächiger, wenn du mir diese sexistische Bemerkung verzeihst. Gehst du also mal rein?«
Mit einem Lächeln, das ihre Besorgnis keineswegs zu vertuschen vermochte, öffnete Erika die Beifahrertür und betrat den Gasthof.
Saul blieb im Wagen sitzen. Bevor er seinem früheren Geheimdienst zugesichert hatte, auf jegliche Unterstützung von seifen anderer Organisationen zu verzichten, hatte Misha Pletz ihm und Erika bereits israelische Pässe besorgt. Die größte Hilfe stellte im Augenblick jedoch eine Fotokopie seines Notizbuchs dar, das die Liste mit den Namen der zu überprüfenden Personen enthielt. Und der erste Name auf dieser Liste war Ephraim Avidan gewesen. »Was haben die Namen auf der Liste mit dem zu tun, was meinem Vater zugestoßen ist?« hatte Erika damals Misha Pletz gefragt.
»Das weiß ich nicht«, hatte Misha geantwortet.
»Das glaube ich nicht. Du hättest die Liste sicher nicht aufgestellt, wenn kein Zusammenhang zwischen den einzelnen
Namen bestünde.«
»Ich habe nie behauptet, es bestünde kein Zusammenhang. Wir wissen genauestens Bescheid über die Vergangenheit, die Adressen, die Gewohnheiten und die früheren Berufe dieser Männer.«
»Die früheren Berufe?«
»Alle diese Männer sind ehemalige Mossad-Angehörige, die inzwischen pensioniert sind. Du hast mich jedoch gefragt, in welchem Zusammenhang sie mit dem Verschwinden deines Vaters stehen, und auf diese Frage habe ich bedauerlicherweise nach wie vor keine Antwort.«
»Behaupten sie, meinen Vater nicht zu kennen? Beantworten sie deine Fragen nicht? Oder worin liegt das Problem?«
»Ich hatte bisher noch nicht die Möglichkeit, sie irgend etwas zu fragen.«
»Jetzt fängst du schon wieder mit deinen lächerlichen Ausflüchten an.«
»Keineswegs. Diesen Männern sind zwei Dinge gemeinsam. Sie haben die Vernichtungslager der Nazis überlebt...«
»Und?«
»Sie sind alle spurlos verschwunden.«
Und zwar ebenso spurlos verschwunden wie Erikas Vater.
Endlich ging die Tür des Gasthofs wieder auf. Saul wurde nicht recht klug aus Erikas Gesichtsausdruck, als sie wieder in den Wagen stieg.
»Und?« fragte er sie schließlich.
»Sie waren nicht gerade gesprächig. Vermutlich sind wir nicht die ersten Fremden, die sich nach Avidan erkundigt haben, und offensichtlich sind die Einheimischen Fremden gegenüber nicht sonderlich wohlgesonnen, wenn sie nicht gerade als Touristen eine Menge Geld dalassen.«
Saul überlegte kurz. »Demnach müssen also schon Mishas Leute hier gewesen sein.«
»Durchaus möglich. Aber genau das werden wir gleich
herausfinden. Immerhin haben sie mir den Weg zu Avidans Haus erklärt.«
Saul fuhr weiter die enge Dorfstraße hinunter. »Sag mir, wenn ich abbiegen muß.«
»Es ist das dritte Haus nach dem Ortsschild.«
Saul trat aufs Gas.
Das alte, weiß getünchte Haus stand auf einer sanft geneigten Wiese. Als Saul den unbefestigten Weg zu dem Bauernhaus hinauffuhr, war die Luft vom
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