Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
nicht.
Die Raben riefen – ein raues Krächzen, das irgendwo ganz in der Nähe von allen Seiten widerhallte.
Boudicca gewahrte, dass sie auf etwas Weichem lag; sie wollte sich umdrehen, ächzte und stöhnte, als der umfassende Schmerz auf ihrem Rücken jäh in alle Glieder schoss. Auch in ihrem Kopf spürte sie einen eigenartigen Druck, als wäre außer ihrem Gehirn noch alles Mögliche hineingestopft.
»Meine Königin – wie fühlst du dich?«
Die Stimme klang voll und ruhig. Aber warum verband sie sie gedanklich mit Schmerz und Pein?
»Als ob man mich geschlagen hätte mit …« Das Wort blieb ihr in der Kehle stecken, als die Erinnerung zurückkehrte – die lateinischen Zahlen, die Todesangst, die sie bis aufs Mark gequält und all ihre körperlichen Empfindungen überstiegen hatte. »Meine Mädchen!« Schlagartig fuhr sie auf, starrte um sich. Die Vorhänge um ihre Bettstatt hüllten die Welt um sie in einen dämmrigen Schein. An ihrem Bett saß Brangenos, das lange Gesicht erhellt vom flackernden Licht der kleinen römischen Lampe in seiner Hand.
Er stellte sie auf dem Tisch ab. Sie zuckte vor Schmerz zusammen, als er nach ihren Händen griff.
»Berühre mich nicht«, sagte sie heiser. Ihre wund gescheuerten Handgelenke zeigten noch immer den Abdruck der Fesseln. »Nie wieder wird mich jemand fesseln!« Mit suchendem Blick sah sie ihn an. »Wo sind meine Töchter?«
»Sie schlafen, meine Königin«, sagte er sanft. »Man hat sich um sie gekümmert und ihre Wunden gepflegt. Geh jetzt nicht zu ihnen.« Er drückte sie sacht zurück, als sie unwillkürlich auffuhr. »Schlaf ist die beste Medizin für sie. Die Verletzungen halten sich in Grenzen – mehr als zwei bis drei kamen nicht zum Zug, bevor du sie …« Sein Blick verfinsterte sich. »… bevor du sie errettet hast.«
Boudicca schöpfte rasch Atem, als der Druck in ihrem Kopf plötzlich anschwoll. »Nicht ich – sie – sie hat dem Schrecken ein Ende bereitet …«
Sein Blick ruhte auf ihr. »Woran kannst du dich noch erinnern?«
»Sie war auf einmal da, in meinem Kopf, und dann … ich weiß nicht. Ich glaube, es war Cathubodva. Sie hat schon einmal durch mich gesprochen, vor langer Zeit.«
Sein flatternder Blick beruhigte sich rasch, aber die Mischung aus Neugier, Aufregung und Angst in seinen Augen war ihr nicht entgangen.
»Das erklärt … einiges«, sagte er. Und plötzlich wurde ihnen das Geschrei der Raben von draußen sehr bewusst. Er sah sie an, wirkte ernst. »Sie hat Pollio und die Vergewaltiger getötet. Und um den Rest der Truppe haben sich unsere Krieger gekümmert.«
Bestürzt starrte sie ihn an. »Die Römer werden Rache nehmen!«
»Da müssen sie zuerst die Leichen finden.« Er seufzte. »Wir hätten sogar behaupten können, dass sie nie hier gewesen wären, aber auch die Göttin will Rache. Sie hat deinen Kriegern befehligt, das Land zum Aufstand gegen die fremden Truppen aufzustacheln. Und die ersten Männer sind bereits da.«
»Dann muss ich mit ihnen sprechen.«
»Nein, noch nicht, meine Königin – bitte. Deine Genesung schreitet gut voran – schneller als gedacht«, fügte er hinzu und sagte das mehr zu sich selbst. »Aber du brauchst auch Schlaf, und es gibt keinen Grund, dem Stamm gegenüberzutreten, bis alle, die zum Aufstand bereit sind, sich zusammengeschart haben. Sogar die Raben kommen«, fügte er nachdenklich hinzu. »Die ersten kamen bereits, als wir die Leichen vergraben haben – ich war versucht, sie ihnen zum Fraß zu überlassen. Mittlerweile fliegen immer mehr herbei.«
»Sie machen einen Riesenlärm … bei dem ich sowieso nicht schlafen kann.« Ihr Kopf surrte vor Schmerzen, seelischen wie körperlichen.
Brangenos zog ein Glasfläschchen aus seinem Beutel und träufelte ein wenig Flüssigkeit auf einen kleinen Löffel. »Ich gebe dir eine Tinktur aus Schlafmohnsamen. Dann spürst du die Schmerzen nicht mehr.«
»Wo wird unser Festmahl sein? Wo wird unser Festmahl sein?«, schrien die Raben.
Boudicca hörte die Worte ganz deutlich, denn die Schlafmohnsamen hatten sie mitgenommen in tiefe Träume. Aber sie wunderte sich nicht – sie hatte schon immer wissen wollen, was die Vögel so alles durch die Bäume zwitscherten.
»Im Wald liegt ein totreifer Dachs, drei Tage alt«, rief einer der Raben.
Und ein anderer krächzte: »In der Mistgrube liegt brandige Gerste.«
»Und was speisen wir morgen? Morgen?«, hörte sie den ersten Raben wieder krächzen.
Boudicca war sich bewusst, dass ihr
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