Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
verschanzt hielt -Männer, Frauen, Kinder, Soldaten aus der Festung sowie weitere zweihundert Mannen, die der Prokurator aus Londinium geschickt hatte.
»Es gibt keine Möglichkeit, die Mauern von außen in Brand zu setzen«, sagte ein knorriger, kleiner Mann mit fehlenden Vorderzähnen, der einst als Zwangsarbeiter beim Bau des Tempels mitgeholfen hatte. Boudicca drehte sich zu ihm um und begriff erst da, dass er schon eine ganze Weile auf sie eingeredet hatte. »Die Mauern sind von außen ringsum mit Stein verkleidet, hm? Und die Türen mit Bronze. Aber das Dach …« Er spähte nach oben. »Das Dach ist nur mit Ziegeln gedeckt. Und das weiß ich bestimmt, immerhin habe ich mir fast das Kreuz gebrochen, um die Dinger alle dort hinaufzuschaffen. Also, reißt die Ziegel los! Darunter liegen prächtige Holzbalken, die gewiss gut brennen. So lässt sich das Ding ausräuchern – wie ein Dachsbau. Dann kommen die ganz von selbst aus ihren Löchern!«
Die Männer ringsum nickten. Boudicca spürte, wie Cathubodva sich bemerkbar machte. Ein Rabe rief, setzte sich auf den bronzenen Adler auf der Spitze des Tempeldaches, als wolle er ihnen den Weg weisen.
»Ich höre dich …«, murmelte sie und wandte sich dann an die Männer. »Ja – greift an!« Während die Männer ihre eigens erbauten Leitern herbeibrachten und nach allen Seiten um das Gebäude ausschwärmten, kam ihr der Gedanke, dass kein Mensch je etwas errichten kann, was ein anderer nicht mutwillig zu zerstören vermag. Ziegel klirrten, als die Männer sie vom Dach klopften und nach unten warfen, sich immer weiter durch die gebrannten Tonscherben fraßen, bis das Dach aussah wie ein wollener Behang, den die Motten erobert hatten. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Dachbalken zum Vorschein kamen.
Von drinnen ertönten Schreie, als jemand Pfeile durch die Öffnungen schoss. Dann zogen die Männer krügeweise Olivenöl nach oben, gössen es über das Balkenholz, bevor sie die mit Harz und Lein verschmierten Steckhölzer in die Balken klopften und sie schließlich in Brand steckten. Das restliche Öl leerten sie durch die Löcher im Gebälk und schickten einen flammenden Pfeilhagel hinterher – als Vorhut gewissermaßen.
Die Angreifer eilten über die Leitern wieder nach unten, während die weißen Rauchwolken sich langsam schwarz verfärbten und kurz darauf helle Feuerzungen aufloderten.
»Brenne, Claudius«, flüsterte Boudicca. »Nie und nimmer hätte dir dein eigenes Volk einen derart prächtigen Scheiterhaufen bereitet, dir nie so viele Opfer dargebracht!« Ein solch großes Freudenfeuer hatte Britannien nie zuvor gesehen – nicht einmal zum Mittsommerfest.
Durch den dumpfen, rollenden Hall der Flammen konnte sie Schreie hören.
»Jetzt dauert es nicht mehr lange«, sagte einer der Männer.
Drinnen wurde es ständig heißer und gefährlicher, da immer mehr flammende Bruchstücke aus dem Gebälk niederschlugen. Schwarzer Rauch quoll aus dem Dach, der sich auch im Innern bereits ausgebreitet haben musste, zumal sich das Feuer von unten an den Balken entlangfraß, auf denen noch Ziegel saßen.
Da ertönte ein lauter Ruf – die Bronzetüren an der Vorderseite des Tempels gingen auf.
»Endlich!«, rief Bituitos und preschte los. »Wie es scheint, wollen sie wie Männer sterben!«
Soldaten erschienen in der Tempeltür, hielten ihre Schilde so, dass sie halb den eigenen Körper schützten und halb den schwertführenden Arm ihres Nebenmannes. Die Klingen schnellten vor und zurück – wie die Zunge einer Natter. Für einen kurzen Augenblick gelang es ihnen, die angreifenden Britannier abzuwehren, doch hinter ihnen drängten die Massen hinaus. Im Nu hatten die Britannier sie umzingelt und griffen auch von hinten an, sodass viele vom bloßen Gewicht der Massen erdrückt wurden. Wer zurückzuweichen und zu fliehen versuchte, wurde mitgerissen oder im Gewühl der Menge niedergetrampelt.
»Zurück! Zurück!«, schrie jemand. »Wir brauchen Platz zum Töten!«
Hoch oben kreisten die Raben, ließen sich auf der erhitzten Luft treiben. Wolken glühten im Licht der untergehenden Sonne, als stünde der ganze Himmel in Flammen. Selbst vom Rand des Platzes aus konnte Boudicca die Hitze spüren, während die Flammen höher und höher schlugen. Die Angreifer zerstreuten sich und ließen einen verkeilten Haufen von Körpern zurück. Das Blut, das die Tempelstufen bedeckte, leuchtete im Licht des Feuers umso röter. Noch immer erschienen vereinzelt Römer am
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