Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
genommen hatte. Das heftige Stampfen der Füße wirbelte dichte Staubwolken vom trockenen Boden, die Scharen von kreischenden Raben umhüllten. Sie fragte sich, ob Togodumnos ein strategischer Fehler unterlaufen war, ob es wirklich klug von ihm gewesen war, sich den Römern gleich am Fluss entgegenzustellen. Dann erinnerte sie sich an die Worte eines alten Kriegers, den sie einmal hatte sagen hören, dass es ein Fehler sei, dem Feind alle Fluchtwege abzuschneiden. Einmal angelandet, blieb den Römern damit gar keine andere Wahl, als sich durch die Reihen der Feinde immer weiter vorzukämpfen.
Gerade wollte sie Ardanos vorschlagen, den Wagen mit den Verwundeten noch weiter nach hinten zu befördern, als plötzlich ein dichter Haufen kämpfender Männer auf sie zuwalzte. Ein Speer schoss knapp an ihr vorbei, bohrte sich in die Seite des Wagens. Ardanos nahm eine Handvoll Staub auf, schleuderte ihn dem Feind entgegen, während er magische Worte in seinen Bart brummte. Und plötzlich verfinsterte sich der Himmel, und der Lärm der Schlacht klang wie ein fernes Donnergrollen.
Im nächsten Augenblick stürzte ein römischer Krieger durch die Abwehrreihen, schwang sein erhobenes Schwert durch die Luft. Lhiannon griff stracks nach einem Speer, schlug ihm wild entgegen und brachte ihn ins Straucheln. Einer der Verwundeten, den sie eigentlich schon halb tot gewähnt hatte, packte ihn am Fußgelenk und stieß ihm ein Messer in die Kehle, während er zu Boden ging. Der römische Krieger röchelte fürchterlich, während das Blut aus seiner Halsschlagader spritzte und seine Augen hervorquollen, in denen sich der gleiche ungläubig leere Ausdruck spiegelte, den sie schon oft gesehen hatte, als die eigenen Leute vor ihren Augen gestorben waren. Der Gestank, der entwich, als der Schließmuskel erschlaffte, mischte sich mit dem metallischen Geruch des Blutes. Auch der Kelte, der ihn niedergestreckt hatte, war nun tot, die Lippen zu einem sardonischen Lächeln verzerrt.
»Lasst sie liegen!«, rief Belina. »Weg hier! Los!«
Sie nickte stumm, raffte etwas Verbandszeug zusammen und schob es unter ihren Schleier. Es würde ihnen bald ausgehen. Während Cunitor und Ardanos die hinteren Abwehrreihen im Auge behielten, nahm Belina das Pferd am Halfter, und der Wagen setzte sich knarrend in Bewegung, schob sich immer weiter nach hinten. Pferde trabten vorbei, mit Reitern auf dem Rücken oder vor Streitwagen gespannt, die Lanzen gereckt, zum Sieg oder zur Niederlage.
Der Weg vor ihnen fiel sanft ab, erstreckte sich über einen langen Hang ostwärts, gab den Blick frei auf Weideland, das durchsetzt war von dichtem Gebüsch, um welches die Wogen des Kampfes tobten und strudelten wie strömende Wassermassen, die sich an Hindernissen im Flusslauf teilten. Der Wagen der Heiler bezog seinen neuen Posten im Schatten, und bald darauf hatten sie erneut alle Hände voll zu tun. Das Wasser ging ihnen aus, doch glücklicherweise kamen ihnen Einheimische mit Nachschub zu Hilfe. Die römischen Barken, so erzählten sie, hielten einen Uferstreifen von einer Meile Länge belagert, und eine breite Schneise von verstreut liegenden Leichen, darunter mehr Kelten als Römer, zeige den Weg des verheerenden Schlachtzugs. Lhiannon verschränkte die Arme. Ihr war plötzlich eiskalt.
Die untergehende Sonne warf lange Schatten über die Felder, und sie mussten eine Fackel anzünden, damit die Verwundeten den Weg zu ihnen fanden. Doch da walzte erneut ein dichter Haufen von kämpfenden Gestalten auf sie zu, und es dauerte ein wenig, bis sie erkannten, dass es allesamt Britannier waren.
»Die kämpfen gar nicht …«, flüsterte Cunitor ungläubig. »Die sind auf dem Rückzug. Wir haben verloren …« Sein Gesicht war von Staub und Blut befleckt, das helle Haar völlig zerzaust. Die Druiden sahen fast ebenso elend aus wie die Krieger, die sie verarztet hatten.
Das gibt es nicht, dachte Lhiannon benommen. Wir haben doch so erbittert gekämpft. Wir können nicht verloren haben! Sie lief los, doch Ardanos fasste sie am Arm. Kamen die Römer wirklich? Er zeigte auf einen Streitwagen, der über das Feld direkt auf sie zuschlingerte, wobei der Lenker den müden Pferden offenbar das Letzte abverlangte. Und im nächsten Augenblick erkannte sie das vergoldete Pferdegeschirr und die schwarzen Pferde, und da wusste sie: Das halbe Dutzend-Männer, das völlig ermattet neben dem Wagen herstolperte, mussten Krieger sein, die ihrem König nur wenige Stunden zuvor in die
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