Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
das Feld, suchen nach ihren Lieben. Männer schichten Hölzer zu einem Scheiterhaufen, und die Raben scharen sich zum Totenschmaus.«
Boudicca fühlte sich, als seien diese schwarzen Vögel irgendwo tief in ihrem Innern eingesperrt und schlügen mit ihren Flügeln von innen gegen ihren Schädel.
»Dann haben die Könige die Schlacht verloren«, sagte Helve bitter. »Halte nun Ausschau nach Ardanos und seinen Gefährten.«
»Ich sehe Druiden. Sie ziehen vom großen Fluss aus nach Norden. In dem Wagen, dem sie folgen, liegt die Leiche eines Mannes mit grauem Haar.«
»Togodumnos«, seufzte Helve.
Völlig in Bann genommen, fing Boudicca plötzlich an zu zittern. Der Zorn, den sie die ganze Zeit in sich hineingefressen hatte, entlud sich nun in ihrem Innern. Gleich würde er die Schranke durchbrechen, die ihr Selbst schützte. Aber es war nicht nur ein Gefühl – sie spürte förmlich, wie das Gefühl Gestalt annahm, sich zu einem Wesen formte, das über die magischen Worte der Priesterin lachen konnte. Ich bin der Zorn …, wisperte eine Stimme in ihr. Ich bin die Macht. Lass mich frei, lass mich fliegen!
»Und was ist mit den Römern?«, fragte Helve.
»Sie bauen eine Brücke«, flüsterte Coventa. »Sie haben ein Lager aufgeschlagen und mit Schanzpfählen versehen, und dort bleiben sie. Mehr sehe ich nicht.« Sie wand sich hin und her, stieß einen befreienden Seufzer aus und sank schließlich in Schlaf, der sie sanft aus der Trance führte.
Die Priesterin lehnte sich zurück, legte die Stirn in Falten. In jenem kleinen Teil ihres Bewusstseins, über das sie noch Kontrolle hatte, nahm Boudicca wahr, wie sie unwillkürlich einen Arm hob, und sie wusste, im nächsten Augenblick würde er auf die Frau vor ihr niederfahren. Erschrocken darüber, kämpfte sie an gegen jene andere, aus ihrem Zorn geborene Macht – oder war diese Macht schon immer da gewesen, lauernd nur auf den Augenblick, bis der Druck groß genug war, die Schranken niederzureißen, die sie im Zaum gehalten hatten? Ihre Lippen öffneten sich zu einem erstickten Keuchen, und Helve drehte sich zu ihr um.
Mit schreckensgroßen Augen starrte sie Boudicca an, als wäre diese eine Kriegerin, die sich dem Feind entgegenstellt, und fasste sich sodann. Aber am festen Mut dieser Frau, die Helve vor sich sah, war nicht zu zweifeln!
»Sprich!«, herrschte Helve sie im gleichen scharfen Ton an, der ihr zuvor die Stimme versagen ließ. »Wer bist du? Ich habe dich nicht gerufen!«
Die Antwort darauf war Gelächter. Ein Gelächter, in dem ein Anflug von Spott schwang, der sich zu Boudiccas Erleichterung in Zorn wandelte.
»Ach, wirklich nicht? Weißt du nicht mehr, dass du mich am Fest der Frühjahrswende gerufen hast?«
Der entsetzte Ausdruck auf Helves Gesicht stimmte Boudicca alles andere als milde.
»Große Königin«, murmelte Helve und neigte ihr Haupt in einer angedeuteten Verbeugung.
»Eine starke Stute hast du da für mich gezäumt«, sagte jetzt diese andere Macht in ihr – Cathubodva, dachte Boudicca und war ebenso erschrocken wie Helve, als sie begriff, wer da ihren Körper beherrschte: Cathubodva, die Göttin des Krieges und der Raben. Sie reckte sich auf Boudiccas Zehen, stieg ein wenig empor und streckte den Arm aus, als wolle sie den Körper des Mädchens etwas dehnen, um bequem hineinzupassen.
»Aber das lag nicht in deiner Absicht, das kann ich sehen. In der Tat hat nur sehr wenig, was ihr Druiden im vergangenen Jahr getan habt, den erwarteten Erfolg gebracht. Nicht wahr?«
Schon oft hatte Boudicca erlebt, wie Mearan bei rituellen Anlässen mit der Stimme der Göttin gesprochen hatte, aber Götter in sich zu tragen, das blieb den Oberdruiden vorbehalten und geschah auch nur innerhalb strikter Grenzen eines Rituals. Und selbst die waren sich nicht schlüssig darüber, ob sie das als Last oder Privileg erachten sollten.
»Du sprichst die Wahrheit«, sagte Helve.
»Wie immer, wenn ich gefragt werde«, antwortete die Göttin. »Aber du hast nicht gefragt, nicht wahr? Du hast meine Weisheit nicht erbeten. Du hast meinen Zorn heraufbeschworen, der wie ein wildes Feuer losbricht und alles niederbrennt, was ihm in die Quere kommt.«
»Aber es ist doch geglückt! Du hast die Römer so in Angst und Schrecken versetzt, dass sie den Krieg verweigert haben!«
»Bis sie neuen Mut schöpften, der umso stärker war, weil er jenseits aller Furcht lag«, sprach Cathubodva.
Boudicca spürte, wie ihr Körper sich entspannte, als die Göttin
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