Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon
auf dem Bett, starrte sie mit großen Augen an.
»Boudicca, was ist mit dir passiert?«
Boudicca schluckte, schmeckte Bier im Mund und wich zurück, als sie den kalten, berechnenden Blick in Helves Augen sah. »War ich ohnmächtig?«, fragte sie schwach. »Warum sitze ich hier am Boden?« Coventa schien sich nie daran zu erinnern, was sie im Zustand der Trance erlebt hatte. Aber war es auch bei ihr so? Da war sie sich nicht so sicher. Allerdings war sie sich darüber im Klaren, dass es ihr lieber wäre, wenn Helve nicht durchschaute, woran sie sich noch alles erinnerte.
Boudicca jagte über das sattgrüne Sommergras, schwang den Eschholzstock, um den Ball im Spiel zu halten. Doch es gab keine Menge, die ihr zujubelte, kein Gegner, der sie aufzuhalten versuchte. In den vergangenen Wochen waren die meisten der Schüler zu ihren Stämmen heimgekehrt. Und so waren nun nicht mehr genug Spieler da, um zwei Hurley-Mannschaften zu bilden. Doch mit der körperlichen Betätigung legte sich ihre innere Unruhe etwas, die sie in den letzten paar Tagen um den Schlaf gebracht hatte – auch wenn sie ganz allein spielte.
Es half ihr ungemein, wenn sie sich vorstellte, dass es der Kopf eines Römers war, den sie über das Gras schleuderte. Dabei konnte sie die Schüler verstehen, die heimgekehrt waren. Sie konnte sogar verstehen, warum Helve darauf beharrt hatte, dass Coventa all ihre Visionen preisgab. Wie sonst hätten sie hier, im hintersten Winkel der Welt, erfahren können, was um sie herum geschah? Lhiannon war irgendwo dort draußen. Sie und Ardanos waren in Gefahr – und wahrscheinlich hatte Helve die beiden gerade wegen der Gefahr ausgeschickt, damit sie Caratac zur Seite standen. Natürlich war die Hohepriesterin froh gewesen, die beiden los zu sein, denn sie hätten sich ihrem Willen höchstwahrscheinlich widersetzt, jetzt, wo auch der Erzdruide fort war, der wankelmütige Stammesführer zu überzeugen suchte, dass die Römer vielleicht doch zu bekämpfen wären.
Kein Zweifel, Helve will am liebsten auch mich los haben, dachte sie und drosch den Ball mit einem besonders harten Schlag. Oder vielleicht auch nicht. Jedenfalls beäugt sie mich, als wisse sie nicht recht, ob sie auf einen nochmaligen Besuch der Morrigan hoffen oder ihn fürchten sollte …
Boudicca hatte die meisten meditativen Stunden der letzten Zeit damit zugebracht, ihren Geist gegen eine weitere solche Besitzergreifung zu wappnen, aber eigentlich bereitete es ihr mehr Vergnügen, Helve darüber im Ungewissen zu lassen.
Als sie den Ball am Tor vorbeischoss, hörte sie Coventa ihren Namen rufen.
»Boudicca, du sollst kommen!«, rief sie, blieb außer Atem stehen und keuchte. »Helve will dich sprechen. Ein Bote ist da.«
Lhiannon – sie ist verletzt!, schoss es ihr durch den Kopf. Doch das würden wohl zuallererst die Oberdruiden erfahren. Oder war ihrem Vater etwas zugestoßen? Hatte auch er in den Schlachten gekämpft? Sie rannte los, Coventa kam keuchend hinter ihr her.
Es war ein warmer Tag. Helve saß unter einer Eiche, deren Zweige das Runddach ihrer Hütte umschlangen. Boudicca geriet um ein Haar ins Rutschen, als sie aus dem Laufschritt heraus abrupt vor ihr stehen blieb, sich aufrichtete und wartete.
»Ein Bote ist da – ein Mann namens Leucu. Kennst du ihn?«
Boudicca nickte. »Er war bei meinem Vater in Diensten, schon bevor ich geboren wurde.« Ihr Herz hatte geklopft vom schnellen Laufen, nun aber raste es vor Angst und Sorge. Doch sie ließ sich nichts anmerken, denn diese Genugtuung gönnte sie Helve nicht.
»Dein Vater verlangt deine Heimkehr.«
Boudicca nickte, verzog keine Miene. Leucu war wohl der ideale Begleiter – mit der ganzen Insel bestens vertraut und zu alt, um der Tugendhaftigkeit einer Prinzessin gefährlich zu werden. Und zu alt, um als Krieger zu taugen, dachte sie grimmig und hielt Helves bohrendem Blick stand, bis diese erneut das Wort ergriff.
»Er sagt, dass die Römer Marsch auf Camulodunon genommen haben. Es scheint, als träfen Coventas Prophezeiungen zu«, sagte sie mit fester Stimme. »Die Icener haben entschieden, sich zu unterwerfen.«
»Dafür braucht er mich sicherlich nicht!«, platzte es unwillkürlich aus Boudicca heraus. Nein, das war bestimmt nicht der Grund, es sei denn, es gab jemanden, mit dem er sie verheiraten wollte. Sie holte tief Luft. »Bleibt mir eine Wahl?«
Helve seufzte. »Ja«, antwortete sie etwas zögernd. »Du müsstest so oder so entscheiden, ob du bei uns bleiben oder
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