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Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon

Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon

Titel: Avalon 04 - Die Hüterin von Avalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Göttin, dachte Lhiannon. Das Mädchen war ein erfreulicher Anblick nach all den Gräueln, die sie erlebt hatte. Lhiannon hatte sich nach den zwei Wochen, die sie bereits hier auf dem Tor war, Heilung versprochen, doch noch immer fuhr sie bei dem kleinsten unvermittelten Geräusch zusammen. Vielleicht war ja Boudiccas gesunder Frohsinn ein Allheilmittel.
    Lhiannon trat aus dem Schatten der wilden Apfelbäume, die wie ein natürlicher Obstgarten den Hügel bedeckten. Und als Boudicca die Priesterin erblickte, erhellte ein breites Lachen ihr Gesicht, das von der Seereise jede Menge neue Sommersprossen bekommen hatte.
    »Kommt«, sagte Lhiannon und nahm sie kurz in den Arm, »nach zwei Tagen durch das Sumpfland musst du einen Riesenhunger haben – ich hoffe, der Fährmann hat dir nicht nur Teichlilienzwiebeln und geräucherten Aal serviert.«
    »Nun, es gab tatsächlich irgendwas Geräuchertes«, antwortete Boudicca. »Aber was, das wollte ich gar nicht so genau wissen …«
    Die Priesterin lachte. »Hat der Fährmann den Boten deines Vaters ins Seedorf gebracht, damit er dort auf dich wartet? Er wird jedenfalls so lange warten müssen, bis wir fertig sind. Fragt sich bloß, was er dort zu essen bekommt. Für dich jedenfalls gibt es heute Abend Blattgemüse, Gerstenkuchen und geschmorte Ente. Die Hütten, in denen wir schlafen, sind schlicht, aber bei diesem Wetter braucht es nicht mehr …«
    »Lhiannon, du plapperst und plapperst«, sagte Boudicca und sah sie an. »Und du siehst gar nicht gut aus … Ich weiß, dass du bei den Schlachten mit dabei warst. Wurdest du verwundet?«
    »Nur mein Geist …« Lhiannon spürte, wie sich ihr Mund verzerrte vor Schmerz, wollte sich abwenden, blickte dann aber wieder zu Boudicca. Wie konnte sie das Mädchen Selbsterkenntnis lehren, wenn sie ihren eigenen Schmerz verbarg?
    Doch erst nach dem Essen schien die richtige Zeit, in Ruhe darüber zu sprechen. Lhiannon bereitete das einfache Mahl über dem Feuer im Freien vor den Hütten zu. Die Hütten, in denen alle Priesterinnen während ihres Aufenthalts in Avalon untergebracht waren, lagen unweit der Heiligen Quelle. Ein sanftes Gefälle verbarg teilweise die Sicht auf den Nordhügel dahinter, wo die einzigen ständigen Bewohner der Insel lebten, mehrere alte Druidenpriester, die in verstreut liegenden Hütten ihre Zeit mit Meditation verbrachten.
    Eingelullt vom steten Plätschern der Blutquelle, lehnten sie sich zurück und sahen zu, wie sich die abendliche Dunkelheit herabsenkte. Über dem Sumpfland zog Nebel auf, umfing sie mit einem geheimnisvollen Schleier, doch am Himmel über der Heiligen Insel funkelten die Sterne. Und während das Feuer langsam verlosch, begann Lhiannon zu erzählen, redete sich die blutigen Gräuel, die Angst und den Schmerz von der Seele und fühlte sich endlich davon befreit.
    »König Togodumnos ist tot?«, fragte Boudicca.
    Lhiannon nickte. »Er starb einen Heldentod. Nun feiert er ein Festmahl auf den Heiligen Inseln. Auch junge Trinovanten, die in der Blüte ihrer Jahre waren, sind bei ihm, sowie Catuvellaunen und Cantiacer, viel zu viele. Caratac meint, man solle König Tancoric im Westland überreden, ein Bündnis zu schließen.«
    Boudicca war still, fragte nach einer Weile leise: »Habt ihr, du und Ardanos, den König in Camulodunon begraben?«
    Lhiannon nickte. »Ja, letztendlich. Jene erste Nacht nach seinem Tod war schrecklich, wir liefen und liefen, versteckten uns, liefen weiter, immer in Angst, die römischen Spähtrupps könnten uns finden. Erst am dritten Tag wagten wir eine längere Rast, um seinen Leichnam zu verbrennen. Wir brachten die Asche auf die Grabfelder gleich hinter dem Schutzwall vor Camulodunon und verscharrten sie neben der Grabstatt seines Vaters. Es war ein armseliges Begräbnis, ohne Grabbeigaben, nur seinen Speer und den Schild ließen wir bei ihm.« Sie sah auf, seufzte. »Woher weißt du von seinem Tod?«
    »Coventa hat dich gesehen.« Boudicca stockte, als wolle sie noch mehr erzählen, traute sich aber nicht. Irgendwo rief eine Eule, drei Mal. Dann war es wieder still.
    »Die Arme … Helve wird ihre Fähigkeiten gnadenlos ausnützen, und ich denke, das hätte man auch von mir verlangt, wäre die Wahl auf mich gefallen.« Sie beugte sich vor, um im Feuer zu stochern. »In Zukunft werden wir all unsere Überlegenheit nutzen und gegen die Römer ausspielen müssen.«
    »Und was tun die Römer jetzt?«
    »Sie warten ab.« Lhiannon stieß ein freudloses Lachen aus.

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