Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
Landes dem Großkönig die Treue geschworen und ihm gehuldigt hatten. Artus war fast noch ein Junge, aber er blieb den ganzen langen Nachmittag über von untadeliger Höflichkeit. Mit jedem sprach er, der zu ihm kam, als sei er der erste. Nur Morgaine, die in Avalon gelernt hatte, in Gesichtern zu lesen, erkannte die Spuren der Müdigkeit. Schließlich war auch das vorüber, und die Diener brachten das Mahl.
Morgaine hatte erwartet, Artus würde im Kreis der jungen Männer Platz nehmen, die er zu seinen Rittern gemacht hatte. Hinter dem neuen Großkönig lag ein langer Tag; er war jung und hatte sich seinen Pflichten aufmerksam und freundlich unterzogen. Aber Artus setzte sich zu den Bischöfen und den älteren Königen, den Ratgebern seines Vaters – Morgaine sah mit Genugtuung den Merlin unter ihnen. Schließlich war Taliesin sein Großvater, obwohl sie nicht sicher war, ob Artus das wußte. Nachdem er gegessen hatte, erhob er sich und mischte sich unter die Gäste.
In seiner schlichten weißen Tunika und dem schmalen Goldreif auf dem Haupt als einzigem Schmuck wirkte er unter den farbenprächtig gekleideten Königen und Edlen wie ein weißer Hirsch im dunkelgrünen Wald. Seine Ritter waren um ihn: der große Gawain und der dunkle Cai mit den scharfgeschnittenen römischen Zügen und dem zynischen Lächeln – beim Näherkommen sah Morgaine an seinem Mundwinkel eine Narbe, die immer noch rot und häßlich war und seinem Gesicht etwas Verschlagenes gab. Schade, denn zuvor hatte er wahrscheinlich gut ausgesehen. Lancelot wirkte neben ihm hübsch wie ein Mädchen – nein, irgendwie leidenschaftlich, männlich und schön; vielleicht eher wie eine Wildkatze. Morgause verschlang ihn mit ihren Blicken.
»Morgaine, wer ist der schöne junge Mann in Rot… der neben Cai und Gawain steht?«
Morgaine lachte: »Euer Neffe, Tante! Es ist Vivianes Sohn Galahad. Aber die Sachsen gaben ihm den Namen Elfenpfeil, und meist ruft man ihn Lancelot.«
»Wer hätte gedacht, daß die unscheinbare Viviane einen so gutaussehenden Sohn hat? Ihr älterer Sohn Balan… er ist nicht hübsch; rauh, stark und herzlich… und treu wie ein alter Hund. Er ist wie Viviane, und kein Mensch könnte
sie
als schön bezeichnen.«
Die Worte schnitten Morgaine ins Herz.
Man sagt, ich bin wie Viviane. Halten mich also alle für häßlich? Das kleine Mädchen damals sagte… klein und häßlich wie eine Fee.
Morgaine erwiderte kühl: »Ich finde, Viviane ist sehr schön.«
Morgause kicherte anzüglich: »Man merkt, daß du in Avalon aufgewachsen bist. Dort lebt man noch einsamer als in den meisten Klöstern. Ich glaube, du weißt nicht, was Männer an Frauen schön finden.«
»Aber Morgause«, sagte Igraine besänftigend, »es gibt auch andere Tugenden als Schönheit. Dieser Lancelot hat die Augen seiner Mutter, und niemand hat je geleugnet, daß Viviane herrliche Augen hat. Viviane besitzt soviel Liebreiz, daß niemand danach fragt oder sich darum kümmert, ob sie schön ist. Alle hängen an ihren wunderbaren Augen und lassen sich von ihrer wundervollen Stimme bezaubern. Schönheit liegt nicht nur in einer königlichen Gestalt, heller Haut und goldenen Locken, Morgause.«
Die Schwester erwiderte: »Ach, Ihr seid der Welt zu fremd, Igraine! Ihr seid Königin, und jeder hält eine Königin für schön. Und Euer Gemahl hat Euch sehr geliebt. Die meisten von uns sind nicht so glücklich dran, und es ist tröstlich zu wissen, daß andere Männer unsere Schönheit bewundern. Hättet Ihr Euer ganzes Leben mit dem alten Gorlois zugebracht, wärt Ihr auch froh über Eure weiße Haut und Eure schönen Haare. Ihr hättet Euch alle Mühe gegeben, jene Frauen auszustechen, die nur Liebreiz, wunderbare Augen und eine wohlklingende Stimme besitzen. Männer sind wie kleine Kinder… sie sehen nur das erste, was sie wollen, eine pralle Brust…«
»Schwester!« rief Igraine entrüstet, und Morgause erwiderte mit einem trockenen Lachen: »Ja, ja, Schwester, Ihr konntet leichten Herzens tugendsam sein, denn der Mann, der Euch liebte, war ein König. Die meisten von uns sitzen nicht so hoch.«
»Liebst du Lot nach all diesen Jahren etwa nicht, Morgause?«
Morgause zuckte die Schultern. »Liebe ist ein Zeitvertreib in der Kemenate und für den Winter. Lot berät sich mit mir in allen Angelegenheiten. In Kriegszeiten überläßt er mir die Aufsicht über den Hof. Wenn er die Beute, Gold, Edelsteine oder prächtige Kleider, mitbringt, habe ich die erste Wahl. Dafür
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