Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
der Männer. In frühester Zeit hatte es sogar eine von Frauen geleitete Schule gegeben, in der das Kriegshandwerk gelehrt wurde. Aber nach und nach war es Aufgabe der Männer geworden, auf die Jagd zu gehen und Eindringlinge vom Feuer fernzuhalten, wo die Schwangeren, die kleinen Kinder und die Alten Schutz suchten. Die Frau mußte dafür sorgen, daß der Mann seinen Platz an diesem Herd fand. Der Großkönig wurde von der Hohepriesterin in der Großen Ehe mit dem Land vereint, zum Zeichen, daß er das Reich stärkte; die Königin war das Symbol einender Stärke, die hinter dem Heer und dem Krieg stand – das Heim und der Mittelpunkt, für den die Männer ihre ganze Stärke aufboten. Igraine schüttelte ungeduldig den Kopf. Über diese Symbole und inneren Wahrheiten mochte sich vielleicht eine Priesterin von Avalon Gedanken machen; sie war lange genug ohne solche Überlegungen Königin gewesen. Gwenhwyfar würde als alte Frau genug Muße haben, darüber nachzudenken, doch dann nutzte es ihr auch nichts mehr. In der heutigen, christlich gewordenen Zeit war eine Königin nicht mehr eine Priesterin von Bauern, die ihre Felder pflügten, und der König nicht mehr der große Jäger, der die Hirsche erlegte.
»Kommt, Gwenhwyfar, Cai hat zwar Kammerfrauen geschickt, um Euch zu helfen, aber als Mutter Eures Gemahls ist es nur richtig, daß ich Euch für die Hochzeit ankleide, wenn Eure Mutter nicht hier sein kann, um Euch an diesem Tag zu schmücken.«
Gwenhwyfar wirkte in ihrem Festgewand wie ein Engel. Ihr seidiges Haar umfloß sie wie gesponnenes Gold und überstrahlte beinahe den goldenen Kranz auf ihrem Haupt. Das Kleid war aus einem weißen Stoff, so fein wie ein Spinnengewebe. Voll schüchternen Stolzes erzählte Gwenhwyfar, daß der Stoff aus einem fremden Land kam, das weiter entfernt als Rom lag und kostbarer war als Gold. Ihr Vater hatte eine Länge für den Altar ihrer Kirche und ein kleineres Stück für eine Reliquie erworben; und er hatte auch ihr ein Stück geschenkt, aus dem ihr Hochzeitskleid gefertigt worden war. Sie besaß noch genug für eine Festtagstunika für Artus… ihr Hochzeitsgeschenk für ihn.
Lancelot kam, um sie zur Frühmesse zu geleiten, die der Hochzeit voranging. Danach würde man den ganzen Tag feiern und fröhlich sein. Er trug seinen prächtigen roten Umhang, darunter aber Reitkleidung.
»Verlaßt Ihr uns, Lancelot?«
»Nein«, antwortete er, ohne die Augen von Gwenhwyfar zu wenden: »Zur Unterhaltung der Gäste werden die neuen Reiter und Artus' Krieger vorführen, was sie können. Ich nehme auch teil am Turnier heute nachmittag. Artus hält die Zeit für gekommen, seine Absichten bekanntzumachen.«
Wieder bemerkte Igraine den hoffnungslosen, entrückten Blick, den er auf Gwenhwyfar richtete und das strahlende Lächeln, mit dem sie zu ihm aufsah. Sie hörte nicht, was sie miteinander sprachen – es war sicher unschuldig genug. Aber sie brauchten keine Worte. Mit verzweifelter Deutlichkeit spürte Igraine, daß dies zu keinem guten Ende, sondern nur zu Leid führen konnte.
Sie gingen durch die Flure, und ihnen schlossen sich die Diener, die Edlen und alle an, die zur Frühmesse kamen. Vor den Stufen der Kapelle traten zwei junge Männer zu ihnen, die wie Lancelot lange schwarze Federn an ihren Kappen trugen. Auch Cai trug eine solche Zier, erinnerte sich Gwenhwyfar. War es eine Art Zeichen von Artus' Gefährten?
Lancelot fragte: »Wo ist Cai, lieber Bruder? Sollte er nicht unsere Herrin in die Kirche geleiten?«
Einer der Ankömmlinge, ein großer, kräftiger Mann, der, wie Gwenhwyfar dachte, trotzdem Lancelot ähnlich sah, antwortete: »Cai und Gawain kleiden Artus für die Hochzeit an. Ich dachte, du wärst bei ihnen, denn ihr drei seid wie Artus' Brüder. Er schickt mich an ihrer Stelle. Herrin, ich bin Euer Verwandter.« Mit diesen Worten wendete er sich an Igraine und verbeugte sich: »Ist es möglich, daß Ihr mich nicht kennt? Ich bin der Sohn der Herrin vom See. Ich bin Balan, und dies ist mein Ziehbruder Balin.«
Gwenhwyfar neigte höflich den Kopf. Sie dachte:
Wie ist es möglich, daß dieser große, grobe Balan Lancelots Bruder sein soll? Ebenso könnte sich ein Stier als Bruder eines edlen Hengstes bezeichnen!
Sein Ziehbruder war klein, hatte ein rotes Gesicht und strohgelbe Haare wie ein Sachse. Er trug auch einen Bart wie ein Sachse. Sie sagte: »Lancelot, wenn Ihr Euch zu meinem Herrn und König begeben wollt…«
»Ich glaube, du solltest wirklich zu ihm
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