Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
gesprochen. Jetzt ließ sie seine Hand los, und er ging weinend zu seinem Vater. Die Sterbenskranke streckte ihre dünne Hand Balan entgegen und sagte mit zitternder Stimme: »Du warst immer ein guter Sohn, mein Junge. Kümmere dich um deinen Ziehbruder und bete für meine Seele, ich bitte dich.«
»Das will ich tun, Mutter«, erwiderte Balan und beugte sich nieder, um sie zu umarmen, aber sie schrie vor Schmerz und Angst leise auf. Er ergriff nur ihre welke Hand und drückte sie.
»Ich habe jetzt die Medizin für Euch, Priscilla. Sagt gute Nacht und schlaft ein…«
»Ich bin so müde«, flüsterte die Sterbende. »Wie glücklich werde ich sein, schlafen zu können… Seid gesegnet, Herrin, und Eure Göttin auch…«
»Im Namen der Göttin, die barmherzig ist«, flüsterte Viviane und hielt Priscilla den Kopf, damit sie trinken konnte.
»Ich fürchte mich zu trinken… es ist bitter. Und immer, wenn ich etwas schlucke, habe ich Schmerzen…«, flüsterte Priscilla.
»Ich schwöre dir, Schwester, wenn du getrunken hast, wirst du keine Schmerzen mehr haben«, sagte Viviane ruhig und setzte den Becher an ihre Lippen. Priscilla schluckte und hob die schwache Hand, um Vivianes Gesicht zu berühren.
»Küßt auch Ihr mich zum Abschied, Herrin«, sagte sie mit verzerrtem Lächeln, und Viviane drückte die Lippen auf die knochige Stirn.
Ich habe Leben gebracht, und jetzt komme ich als Botin des Todes… Große Mutter, ich tue für sie, was ich hoffe, daß jemand eines Tages für mich tut,
dachte Viviane. Fröstelnd richtete sie sich auf, und ihr Blick fiel auf Balin, der sie mißtrauisch ansah.
»Kommt«, sagte sie ruhig, »laßt sie ruhen.«
Sie gingen in den Nebenraum; Gawan blieb zurück und hielt die Hand seiner Frau.
Es ist nur richtig,
dachte Viviane,
daß er bei ihr bleibt.
Die Mägde hatten das Abendessen aufgetragen. Viviane ging zu ihrem Platz und aß und trank, denn der lange Ritt hatte sie erschöpft.
»Seid ihr in einem Tag von Artus' Hof in Caerleon bis hierher geritten, meine Kinder?« Sie mußte lächeln… die Kinder waren Männer.
»Ja, von Caerleon…«, antwortete Balan, »und in dieser Kälte und dem Regen war es ein schlimmer Ritt.« Er nahm gesalzenen Fisch, Strich Butter auf das Brot und gab seinen Teller Balin. »Du ißt ja nicht, Bruder.«
Balin fuhr zusammen: »Ich kann nichts essen, wenn unsere Mutter so krank ist. Aber Gott sei Dank seid Ihr jetzt gekommen, Herrin. Bald wird sie wieder gesund sein, nicht wahr? Eure Medizin hat ihr das letzte Mal sehr geholfen. Es war wie ein Wunder. Jetzt wird es ihr doch auch wieder bessergehen?«
Viviane sah ihn verblüfft an… hatte Balin wirklich nicht begriffen? Sie antwortete ruhig: »Das beste was geschehen kann, ist, daß sie bald vor ihren Gott tritt, Balin.«
Er sah sie verzweifelt an: »Nein! Sie darf nicht sterben. Herrin, sagt mir, daß Ihr meiner Mutter helfen könnt! Sagt mir, daß Ihr sie nicht sterben laßt…«
Viviane erwiderte ernst: »Ich bin nicht Euer Gott. Leben und Tod liegen nicht in meiner Hand, Balin. Wollt Ihr sie noch länger leiden lassen?«
»Aber Ihr kennt alle Arten von Magie«, widersprach Balin heftig. »Weshalb seid Ihr gekommen, wenn Ihr sie nicht heilen wollt? Ich habe bisher nur von Euch gehört, daß Ihr ihrem Leid ein Ende setzen wollt…«
»Das ist das einzige Heilmittel für eine solche Krankheit, wie sie über Eure Mutter gekommen ist«, entgegnete Viviane und legte mitfühlend eine Hand auf Balins Schulter. »Es ist nur barmherzig.«
»Laß es gut sein, Balin«, sagte Balan und wollte Balin seine große, schwielige Hand auf den Arm legen, »möchtest du wirklich, daß sie noch länger leidet?«
Balin fuhr auf und starrte Viviane wütend an: »Also habt Ihr Eure Zauberei nur benutzt, um sie zu heilen, solange es Eurer teuflischen, sündhaften Göttin Ehre einbrachte!« schrie er, »jetzt habt Ihr keinen Nutzen mehr davon und wollt sie sterben lassen…«
»Sei still, Mann«, sagte Balan heiser und gepreßt. »Hast du nicht bemerkt… unsere Mutter hat sie gesegnet und sie zum Abschied geküßt. Es war ihr Wille…«
Aber Balin starrte nur Viviane an und hob die Hand, als wolle er sie schlagen. »Wie Judas!« schrie er. »Du hast sie mit einem Kuß verraten…«
Er fuhr heftig herum und wollte in das Zimmer stürzen. »Was hast du getan, du Mörderin! Hinterlistige Mörderin! O Vater! Vater, das ist Mord und teuflische Zauberei…!« Gawan erschien mit bleichem Gesicht in der Tür und gebot dem
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