Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
Worauf, glaubst du, wartet er denn? Möchte er eine größere Mitgift, als eine Frau in die Ehe bringen kann?«
Wieder schien sie Balans unausgesprochene Gedanken zu hören:
Die einzige, die er will, kann er nicht haben, denn sie ist die Frau seines Königs…
Aber er sagte nur: »Er will sich nicht vermählen und behauptet im Spaß, sein Pferd sei ihm lieber als jede Frau, denn sie könne ihn nicht in die Schlacht begleiten… Eines Tages wird er sich eine der sächsischen Schildträgerinnen zur Frau nehmen, sagte er. Keiner kann sich mit ihm messen, weder im ernsten Kampf noch bei den Turnieren, die Artus in Caerleon abhält. Manchmal reitet er sogar ohne Schild oder tauscht das Pferd mit einem anderen, damit er nicht zu sehr im Vorteil ist. Balin forderte ihn einmal heraus und gewann einen Gang gegen ihn. Aber er lehnte den Preis ab, nachdem er feststellte, daß Lancelots Sattelgurte gerissen waren.«
»Also ist auch Balin ein edler und guter Ritter?« fragte Viviane.
»O ja, Mutter! Ihr dürft meinen Bruder nicht nach seinem Verhalten heute abend beurteilen«, erwiderte Balan eifrig. »Als er gegen Lancelot antrat, wußte ich wirklich nicht, wem ich den Sieg mehr wünschen sollte. Lancelot bot Balin den Preis an und sagte, er habe ihn ehrlich errungen, denn er hätte sein Pferd besser führen sollen… das sagte er wirklich! Aber weigerte sich, und so stritten sie ritterlich wie zwei Helden aus den alten Sagen, die Taliesin uns als Kinder erzählte.«
»Du kannst stolz auf deine beiden Brüder sein«, sagte Viviane, und das Gespräch wendete sich anderen Dingen zu. Nach einer Weile erklärte Viviane, sie wolle bei Priscillas Aufbahrung helfen. Aber als sie die Kammer betrat, stellte sie fest, daß die Frauen sich alle vor ihr fürchteten. Und auch der Dorfpriester war gekommen. Er begrüßte sie höflich, aber an seinen Worten erkannte Viviane, daß er sie für eine der Nonnen aus dem nahe gelegenen Kloster hielt – in ihrer dunklen Reisekleidung wirkte sie tatsächlich so. Sie wollte den Kirchenmann an diesem Abend nicht mit der Wahrheit konfrontieren. Und als man ihr das beste Gästebett anbot, nahm sie dankend an und schlief schließlich ein. Aber in ihren Träumen ließ sie all das nicht los, worüber sie mit Balan gesprochen hatte. Einen Augenblick lang glaubte sie, Morgaine im grauen, aufreißenden Nebel zu sehen; sie lief durch einen Wald mit seltsamen Bäumen und trug einen Blumenkranz im Haar… solche Blumen wuchsen in Avalon nicht. Im Traum und nach dem Aufwachen sagte sich Viviane immer wieder vor:
Ich darf nicht länger zögern. Ich muß sie suchen… ich muß sie mit dem Gesicht suchen… oder mit dem, was mir von dieser Gabe geblieben ist.
Am nächsten Morgen wohnte sie Priscillas Beerdigung bei. Balin war zurückgekehrt und stand weinend am Grab. Nachdem alles vorüber war und alle anderen ins Haus gingen, um Bier zu trinken, näherte sie sich ihm und sagte freundlich: »Wollt Ihr mich nicht umarmen und Worte der Vergebung sprechen, mein Sohn? Glaubt mir, ich teile Euer Leid. Priscilla und ich, wir waren unser ganzes Leben lang Freundinnen. Hätte ich Eurer Mutter sonst meinen eigenen Sohn gegeben? Und außerdem bin ich die Mutter Eures Ziehbruders.«
Sie öffnete die Arme, aber Balins Gesicht wurde kalt und hart. Er drehte sich um und ging davon.
Gawan versuchte, Viviane zu bewegen, ein oder zwei Tage zu bleiben und sich auszuruhen. Aber sie ließ sich ihren Esel bringen.
»Ich muß nach Avalon zurück«, sagte sie und bemerkte Gawans Erleichterung, obwohl er ihr seine Gastfreundschaft aufrichtig angeboten hatte. Wenn jemand dem Priester sagte, wer sie war, hätte es beim Leichenschmaus zu Verstimmungen kommen können. Balan bot ihr an: »Darf ich Euch nach Avalon begleiten, Herrin? Es sind noch immer Räuber und Wegelagerer unterwegs.«
»Nein«, erwiderte sie und gab ihm lächelnd die Hand. »Ich sehe nicht so aus, als hätte ich Gold bei mir. Und mit mir reiten Männer von den Stämmen… wenn wir angegriffen werden, suchen wir Schutz in den Bergen. Außerdem wird kein Mann, der eine Frau sucht, sich an mir vergreifen.« Sie lachte und fügte hinzu: »Und da Lancelot es sich zur Aufgabe gemacht hat, alles Gesindel im Lande auszurotten, wird es wohl bald wieder wie in früheren Zeiten sein. Man erzählt, damals konnte eine fünfzehnjährige Jungfrau mit einer Goldbörse von einem Ende des Landes zum anderen reiten, ohne daß ein Mann sie belästigt hätte. Bleibt hier, mein Sohn, und
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