Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
wenn, glaubten die abergläubischen Leute bestimmt an Geister. Sie spießte das Huhn auf einen grünen Ast und briet es über den Flammen. Es war so alt und zäh, daß selbst sie mit ihren guten Zähnen Schwierigkeiten beim Kauen hatte. Aber der Hunger war so groß, daß sie an den Knochen nagte, als sei es ein Leckerbissen. In einem Nebengebäude, das eine Art Schmiede gewesen sein mußte, fand sie etwas Leder. Die Sachsen hatten alle Werkzeuge und jedes Stückchen Metall mitgenommen. Aber auf dem Boden lagen kleine Lederlappen, und Morgaine packte die Überreste ihrer Mahlzeit darin ein. Sie hätte gern ihre Schuhe geflickt, aber ihr fehlte ein Messer. Vielleicht kam sie durch ein Dorf, wo man ihr eine Klinge leihen würde. Welcher Wahnsinn hatte sie dazu getrieben, den Dolch wegzuwerfen?
Der Mond nahm seit einigen Tagen wieder ab. Als Morgaine den zerstörten Bauernhof wieder verließ, lag Rauhreif auf den Steinstufen, und am Himmel stand noch ein fahler Mond. Als sie sich gerade mit dem Lederbeutel und einem dicken Stock in der Hand – ihn hatte zweifellos ein Schäfer zurückgelassen – auf den Weg machen wollte, hörte sie das aufgeregte Gackern einer Henne. Sie suchte das Nest und aß das rohe, immer noch warme Ei. Danach fühlte sie sich satt und gestärkt.
Es wehte ein frischer, kalter Wind. Und sie ging mit schnellen Schritten davon, froh über den fadenscheinigen, zerrissenen Mantel. Es war schon spät am Vormittag, und sie dachte gerade daran, sich an den Straßenrand zu setzen und etwas von dem kalten Huhn zu essen, als sie den Hufschlag eines galoppierenden Pferdes hörte. Ihr erster Gedanke war:
Weiterlaufen! –
Sie ging ihren eigenen Geschäften nach und hatte wie jeder Reisende das Recht, die Straße zu benutzen.
Dann dachte sie an den ausgebrannten Bauernhof und verbarg sich hinter einem Busch. Man konnte nicht wissen, wer jetzt unterwegs war.
Denn Artus hatte sich der Sachsen zu erwehren und keine Zeit, das Land geordnet und die Straßen sicher zu halten. Wenn ihr der Reisende harmlos erschien, wollte sie nach Neuigkeiten fragen. Wenn nicht, würde sie in ihrem Versteck bleiben, bis sie ihn aus den Augen verlor.
Es war ein einsamer Reiter; eingehüllt in einen grauen Mantel, saß er auf einem großen mageren Pferd. Er hatte weder Diener noch Packpferd bei sich. Aber auf seinem Rücken entdeckte Morgaine Gepäck … nein, es war nur sein Körper. Er saß zusammengesunken im Sattel… und dann wußte sie, wer der Mann sein mußte, und trat aus ihrem Versteck hervor. »Kevin«, rief sie.
Er brachte das Pferd zum Stehen, das weder stieg noch tänzelte. Es war ein gehorsames Tier. Unwillig und verächtlich sah er auf sie hinunter. Sein Mund verzog sich zu einem höhnischen Grinsen – oder waren es nur seine Narben?
»Ich habe nichts für dich, Weib…«, er brach ab. »Bei der Göttin! Es ist die Herrin Morgaine… was tut Ihr hier? Im letzten Jahr erzählte man mir, Ihr seid in Tintagel bei Eurer Mutter gewesen, ehe sie starb. Aber als die Königin zu ihrem Begräbnis hinunterritt, erfuhr sie, daß Ihr nicht dort gewesen seid…«
Morgaine schwankte und hielt sich mit beiden Händen am Stock fest. »Meine Mutter… tot? Davon weiß ich nichts…«
Kevin stieg vom Pferd und lehnte sich an die Flanke des Pferdes, bis er sich auf seinen Stock stützen konnte. »Setzt Euch, Herrin… Ihr habt es nicht erfahren? Wo, im Namen der Göttin, seid Ihr gewesen? Die Nachricht erreichte selbst Viviane in Avalon. Aber sie ist zu alt und zu gebrechlich, um noch zu reisen.«
Dort, wo ich war, habe ich es nicht gehört. Hat Viviane mich damals gerufen, um mich zu benachrichtigen, als ich ihr Gesicht im Teich sah? Aber ich habe nichts gehört…
Schmerzliche Trauer ergriff Morgaine. Sie und Igraine hatten sich so weit voneinander entfernt … sie hatten sich getrennt, als Morgaine gerade elf Jahre alt war und nach Avalon ging – aber jetzt zerriß es ihr das Herz, als sei sie noch immer das kleine Mädchen, das beim Abschied von Igraine weinte.
Oh, meine Mutter… und ich wußte nichts davon…
Morgaine saß am Straßenrand, und die Tränen strömten ihr über das Gesicht. »Wie ist sie gestorben? Wißt Ihr es?«
»Ich glaube, das Herz versagte ihr. Es war im Frühling vor einem Jahr. Glaubt mir, Morgaine, ich habe nichts anderes gehört, als daß es ein Tod wie jeder andere war… in ihrem Alter durchaus zu erwarten.«
Morgaine hatte einen Augenblick lang ihre Stimme nicht in der Gewalt. Sie konnte
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