Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
preßte sie die Hände zusammen und dachte:
Ich muß herausfinden, wieviele Monde vergangen sind, während ich bei den Hofdamen der Fee lebte und den Feenmann liebte, der mich dorthin führte… Nein, es können nicht mehr als zwei, höchstens drei Nächte gewesen sein . ..
Heillose Verwirrung ergriff sie, aber Morgaine konnte nicht ahnen, daß sie noch wachsen, daß sie nie mehr Klarheit finden sollte. Und wenn sie jetzt an diese Nächte dachte, fürchtete und schämte sie sich sehr. Sie bebte in Erinnerung eines nie gekannten Genusses in den Armen des Feenmannes… aber jetzt war der Zauber von ihr gewichen, und all das erschien ihr schamlos. Die Zärtlichkeiten der Feenjungfrauen… ohne den Zauber hätte sie sich das nie erträumen können… auch mit der Herrin mußte etwas gewesen sein… wenn sie darüber nachdachte, ähnelte die Feenherrin Viviane, und auch deshalb schämte sich Morgaine… im Feenland schien sie ihr ganzes Leben nach solchen Zärtlichkeiten gehungert zu haben. Aber in der Welt draußen wagte sie noch nicht einmal, von solchen Dingen zu träumen.
Trotz der warmen Sonne fröstelte sie. Es war kein Sommer mehr, denn am Seeufer zwischen dem Schilf lag stellenweise Schnee.
Bei der Göttin! Kann der Winter schon vorüber sein und der Frühling nahen?
Wenn in dieser Welt soviel Zeit vergangen war, daß Artus den Verrat an Avalon planen konnte, mußte sie länger bei den Feen gewesen sein, als sie sich vorzustellen wagte… Sie hatte alles verloren. Auch die Schuhe waren abgetragen. Sie hatte weder Pferd noch Dolch, noch Proviant bei sich. Sie stand mutterseelenallein an einem ungastlichen Platz, weit entfernt von jedem Ort, wo man sie als Schwester des Königs kannte. Nun, es war nicht das erste Mal, daß sie hungerte. Ein flüchtiges Lächeln huschte über Morgaines Gesicht. Es gab reiche Häuser und Nonnenklöster, wo man sie vielleicht für eine Bettlerin hielt und ihr etwas zu essen gab…
Sie würde den Weg an Artus' Hof finden – vielleicht konnte in einem Dorf jemand ihre Dienste als Amme brauchen und würde ihre Kenntnisse belohnen.
Morgaine warf einen letzten sehnsüchtigen Blick auf das andere Ufer des Sees. Sollte sie einen letzten Versuch wagen? Sollte sie das Wort der Macht aussprechen, das sie nach Avalon bringen wurde? Wenn sie Raven begegnete, konnte sie vielleicht erfahren, welche Gefahr drohte… sie öffnete den Mund, um die Worte zu formen, schloß ihn aber wieder. Sie konnte auch nicht Raven gegenübertreten. Raven befolgte die Gesetze von Avalon. Sie hatte nichts getan, um ihr Priesterinnengewand zu beflecken. Wie konnte sie mit der Erinnerung an alles, was in der Welt draußen und im Feenreich geschehen war, vor Ravens klaren Augen bestehen? Raven würde sofort alles wissen… Das Seeufer und der Kirchturm verschwammen hinter einem Tränenschleier, als Morgaine schließlich Avalon den Rücken kehrte und den Weg zur Römerstraße einschlug, die an den Bergwerken vorbei nach Süden und schließlich nach Caerleon führte.
Morgaine wanderte drei Tage, ehe sie einem anderen Reisenden begegnete. In der ersten Nacht schlief sie in einer verlassenen Schäferhütte, die ihr Schutz vor dem Wind bot, aber sonst nichts. Am zweiten Tag erreichte sie einen Bauernhof. Außer einem einfältigen Gänsejungen traf sie dort niemanden an. Aber sie durfte sich am Feuer im Haus wärmen; und nachdem sie dem Jungen einen Dorn aus dem Fuß gezogen hatte, gab er ihr ein Stück von seinem Brot. Sie war schon mit weniger Nahrung ausgekommen… Als sie in die Nähe von Caerleon kam, sah sie entsetzt zwei abgebrannte Häuser und Getreide, das auf den Feldern verdarb… es sah aus, als seien die Sachsen hier durchgezogen! Sie stöberte in einer der Ruinen herum.
Krieger schienen hier geplündert zu haben, und es war wenig übriggeblieben. Aber in einem Raum fand sie einen alten Mantel, der für die Räuber vermutlich zu zerlumpt gewesen war. Immerhin war er aus warmem Wolltuch, und Morgaine hüllte sich darin ein. Jetzt ähnelte sie noch mehr einer Bettlerin. Aber die Kälte machte ihr mehr zu schaffen als der Hunger. Gegen Abend tauchten in dem verlassenen Hof gackernd ein paar Hühner auf – Tiere mit festen Gewohnheiten. Sie hatten noch nicht begriffen, daß Krieg war und daß sie hier nicht mehr gefüttert wurden. Morgaine fing eines der Hühner und drehte ihm den Hals um. Dann zündete sie in dem zerstörten Herd ein Feuer an. Wenn sie Glück hatte, würde niemand den Rauch bemerken… und
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