Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
über wie in einer Falle gesessen hatte. Dann schalt sie sich, sie habe kein Recht, zu anspruchsvoll zu sein, biß die Zähne zusammen und ging zu Uriens' Schlafgemach. Der König lag halbentkleidet auf dem Steinfußboden, und sein Leibdiener massierte ihm den Rücken.
»Ihr habt Euch wieder zuviel zugemutet«, sagte Morgaine, ohne jedoch hinzuzufügen:
Ihr seid zu alt, um im Land nach dem Rechten zu sehen.
Uriens war in eine nahe gelegene Stadt geritten, um einen Land-streit zu schlichten. Sie wußte, er erwartete, daß sie sich neben ihn setzte und die Geschichten anhörte, die man ihm erzählt hatte.
Also setzte sie sich auf ihren Stuhl und hörte mit halbem Ohr zu. »Du kannst gehen, Berec«, sagte Uriens, »die Königin wird mir beim Ankleiden helfen.« Der Mann zog sich zurück, und Uriens bat: »Morgaine, kannst du mir die Beine massieren? Du hast geschicktere Hände als er.«
»Gern. Aber dazu mußt du dich setzen.«
Er streckte die Hände aus, und sie half ihm beim Aufstehen. Sie schob ihm einen Hocker unter die Füße und kniete sich neben ihn. Mit kräftigen Bewegungen rieb sie seine hageren Beine und die hornigen Füße, bis das Blut wieder zu kreisen begann. Dann griff sie nach einer Flasche mit Kräuteröl und massierte die entzündeten Zehen des Königs damit.
»Du mußt dir neue Stiefel machen lassen«, riet sie. »Die Risse in deinem alten Schuhwerk reiben dich wund… Siehst du, hier hast du schon Blasen.«
»Aber sie stehen mir prächtig, und neue Stiefel sind so hart«, widersprach er.
Morgaine antwortete: »Du mußt tun, was du für richtig hältst.«
»Nein, nein, du hast wie immer recht«, sagte Uriens. »Morgen werde ich den Mann rufen und mir ein Paar neue Stiefel anmessen lassen.«
Morgaine stellte die Flasche mit dem Öl beiseite und holte ein Paar ausgetretene, weiche Schuhe.
Ob er wohl weiß, daß dies wahrscheinlich seine letzten Stiefel sein werden? Zögert er deshalb so lange?
Morgaine wollte nicht darüber nachdenken, was der Tod des Königs für sie bedeuten würde. Sie wünschte ihm den Tod nicht – er war immer nur freundlich zu ihr gewesen. Sie zog ihm die weichen Schuhe an, stand auf und wischte sich die Hände an einem Tuch ab.
»Fühlst du dich jetzt besser?«
»Wunderbar, meine Liebe. Das kann niemand besser als du.« Morgaine seufzte. Die neuen Stiefel würden ihn anfangs noch mehr schmerzen. Wie er richtig voraussah, würde das Leder steif sein, und er würde sich wundreiben. Vielleicht sollte er das Reiten überhaupt aufgeben und zu Hause im Sessel sitzen – aber das würde Uriens bestimmt nicht tun.
Sie sagte: »Avalloch sollte sich um diese Fälle kümmern. Er muß lernen, was es heißt zu regieren.« Uriens' ältester Sohn war so alt wie sie. Er hatte lange genug auf den Thron gewartet. Aber der König schien ewig leben zu wollen.
»Ja, gewiß… aber wenn ich nicht selbst komme, glauben meine Untertanen, ihr König vernachlässige sie«, entgegnete Uriens. »Im nächsten Winter, wenn das Reiten wieder schwierig wird, will ich vielleicht darüber nachdenken…«
»Ich lege es dir wirklich sehr ans Herz. Wenn du dir noch einmal Frostbeulen holst, kannst du deine Hände bestimmt nicht mehr gebrauchen.«
»Morgaine«, sagte er gutmütig lächelnd, »ich bin ein alter Mann, das läßt sich nun nicht länger leugnen, und man kann auch nichts dagegen tun. Glaubst du, es gibt Schweinebraten zum Abendessen?«
»Ja«, antwortete sie, »und die ersten Kirschen. Ich habe es angeordnet.«
»Du bist eine wunderbare Frau, meine Liebe«, sagte er und reichte ihr den Arm. Gemeinsam verließen sie das Gemach, und Morgaine dachte:
Er glaubt, mir damit etwas Freundliches zu sagen.
Alle hatten sich bereits an der Tafel versammelt: Avalloch, seine Gemahlin Maline und ihre kleinen Kinder; der dunkle und schlaksige Uwain mit seinen drei Ziehbrüdern und der Priester, der sie unterrichtete. Weiter unten an der langen Tafel saßen die Männer des Königs mit ihren Frauen und die ranghöchsten Diener. Uriens und Morgaine nahmen ihre Plätze ein, und Morgaine gab den Dienern das Zeichen, das Mahl aufzutragen. Malines jüngstes Kind begann zu schreien und zu jammern.
»Großmutter! Ich will auf Großmutters Schoß! Großmutter soll mich füttern!«
Maline, eine schlanke, blonde, blasse junge Frau, die bereits wieder hochschwanger war, erklärte stirnrunzelnd: »Nein, Conn, bleib schön sitzen und gib Ruhe!«
Aber der Kleine umklammerte bereits Morgaines Knie. Lachend hob sie
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