Avalon 08 - Die Nebel von Avalon
ihn hoch.
Ich bin eine merkwürdige Großmutter,
dachte sie.
Maline ist beinahe ebenso alt wie ich.
Aber Uriens' Enkelkinder liebten sie. Sie drückte den kleinen Jungen an ihre Brust und freute sich über den kleinen Lockenkopf, der sich an sie schmiegte und mit seinen Händchen nach ihr griff. Sie schnitt das Fleisch in kleine Stücke und fütterte Conn damit. Dann schnitt sie ihm ein Stück Brot in Form eines Schweins.
»Siehst du, jetzt kannst du noch mehr Schweinefleisch essen…«, sagte sie und wischte ihm die fettigen Fingerchen ab. Dann wandte sie sich ihrem Mahl zu. Sie aß selbst jetzt kaum von dem Fleisch, tunkte
nur ihr Brot in den Bratensaft und war bereits fertig, als alle anderen noch aßen. Sie lehnte sich zurück und sang Conn leise etwas vor, der sich zufrieden in ihren Schoß kuschelte. Plötzlich bemerkte sie, daß alle ihr zuhörten, und sie verstummte.
»Bitte singe weiter«, rief Uwain. Aber sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin müde… ich höre Geräusche im Hof.« Sie erhob sich und bedeutete einem Diener, ihr zu leuchten. Er stand mit hocherhobener Fackel hinter ihr; sie sah einen Reiter in den Burghof kommen. Der Diener steckte die Fackel in den eisernen Halter an der Mauer und beeilte sich, dem Reiter beim Absitzen zu helfen. »Mein Herr, Lord Accolon!« rief er freudig aus.
Accolon nahte mit großen Schritten, und sein roter Umhang umwogte ihn wie ein blutroter Strom. »Lady Morgaine«, begrüßte er sie mit einer tiefen Verbeugung, »oder sollte ich… meine Herrin und Mutter sagen?«
»Bitte nicht«, erwiderte Morgaine gereizt. »Kommt herein, Accolon, Euer Vater und Eure Brüder werden sich freuen, Euch zu sehen.«
»Ihr nicht, Herrin?«
Sie biß sich auf die Lippen und glaubte plötzlich, weinen zu müssen. Sie antwortete: »Ihr seid der Sohn eines Königs, und ich bin die Tochter eines Königs. Muß ich Euch vielleicht daran erinnern, wie solche Ehen zustande kommen? Es geschah nicht auf mein Betreiben, Accolon. Und als wir miteinander sprachen, wußte ich nicht…« Sie schwieg.
Accolon blickte auf sie hinunter und beugte sich über ihre Hand. Er sagte so leise, daß selbst der Diener es nicht hören konnte: »Arme Morgaine. Ich glaube Euch, Herrin. Also Friede zwischen uns… Mutter?«
»Nur, wenn Ihr mich nicht Mutter nennt«, erwiderte sie mit dem Anflug eines Lächelns. »So alt bin ich auch wieder nicht. Wenn Uwain mich so nennt, mag das angehen…« Gemeinsam betraten sie die Halle.
Conn richtete sich auf und krähte: »Großmutter!«
Morgaine lachte leicht gequält, ging aber zu dem Kleinen hinüber und nahm ihn hoch. Sie spürte Accolons Blick und beugte sich über
das Kind auf ihrem Schoß, während sie schweigend zur Kenntnis nahm, wie Uriens seinen Sohn begrüßte.
Accolon umarmte seinen Bruder förmlich und verneigte sich vor Maline. Dann kniete er vor seinem Vater nieder und küßte ihm die Hand. Als er sich Morgaine zuwandte, sagte sie kühl: »Erspart mir weitere Höflichkeiten, Accolon. An meinen Händen klebt noch Bratensaft. Ich habe den Kleinen gefüttert.«
»Euer Wunsch sei mir Befehl, Herrin«, entgegnete Accolon, nahm Platz, und eine der Aufträgerinnen brachte ihm einen Teller. Und während er aß und trank, spürte Morgaine immer wieder seine Augen auf sich ruhen.
Accolon ist sicher noch wütend auf mich. Morgens hält er um meine Hand an und abends erlebt er, daß ich seinem Vater versprochen werde. Er muß glauben, Ehrgeiz habe mich besiegt… Warum den Sohn des Königs heiraten, wenn man den König haben kann?
»Nein!« sagte sie bestimmt und gab Conn einen leichten Klaps, »wenn du auf meinem Schoß bleiben willst, mußt du dich ruhig verhalten. Du sollst mein Kleid nicht mit deinen fettigen Fingern beschmutzen…«
Als wir uns das letzte Mal sahen, trug ich ein purpurrotes Gewand. Ich war die Schwester des Königs, und man hielt mich für eine Hexe. Jetzt bin ich eine Großmutter und halte ein verschmiertes Kind auf dem Schoß. Ich kümmere mich um den Haushalt auf der Burg und beschwöre meinen alten Ehemann, sich neue Stiefel anfertigen zu lassen, damit er beim Reiten keine wunden Füße bekommt.
Plötzlich war sich Morgaine jedes einzelnen ihrer grauen Haare und jeder Falte bewußt.
Beim Namen der Göttin, weshalb sollte ich mir denn Gedanken darüber machen, was Accolon von mir hält?
Aber es war ihr nicht gleichgültig, und sie wußte es. Morgaine hatte sich daran gewöhnt, daß junge Männer sie bewundernd ansahen. Jetzt
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