Avalons Geisterschiff
erkennen, dass auf dem Grund etwas lag, das eigentlich nicht dorthin gehörte. Die Menschen warteten darauf, das Monster von Loch Ness zu sehen, das sie liebevoll Nessie nannten, aber das war es nicht, was sich da verschwommen vor meinen Augen auftat.
Es war ebenfalls groß. Nur konnte man nicht unbedingt von einem Lebewesen sprechen, denn auf dem Grund lag ein mächtiger Gegenstand, der eigentlich an die Oberfläche gehörte.
Es war ein Schiff!
***
Mir stockte der Atem!
Ob ich damit gerechnet hatte, das wusste ich selbst nicht zu sagen. Aber es gab keinen Zweifel, und ich musste auch nicht mehrmals hinschauen. Auf dem Grund lag dieses Geisterschiff, das von Carlotta und von Cameron gesehen worden war.
Gesunken, tief im Schlamm des Grundes vergraben. Es war existent, aber es schwebte nicht auf dem Wasser, und das wollte mir nicht in den Kopf. Ich hatte mich nach backbord gebeugt. Die Augen hielt ich weit offen. Das schnell fließende Wasser an der Oberfläche irritierte mich leicht. Ich kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder und sah das gleiche Bild.
Langsam richtete ich mich auf in eine normale Sitzposition und sah, dass Earl Cameron mich anblickte.
»Was war denn los?«, flüsterte er.
Mit dem gestreckten Finger deutete ich auf das Wasser. »Sie werden es nicht glauben, aber dort unten liegt das Schiff, das Sie gesehen haben, auf dem Grund.«
Der Nessie-Forscher starrte mich an. In seinen Augen bewegte sich nichts. Dann schüttelte er den Kopf, und die Stimme drang nur flüsternd aus seinem Mund.
»Das glaube ich nicht, John. Ich habe es doch gesehen. Und zwar über und nicht unter Wasser.«
»Aber es ist so, wie ich es sagte.«
Er atmete tief ein. Dann schluckte er und schüttelte wieder den Kopf. Er leckte über die trockenen Lippen und warf mir wieder einen misstrauischen Blick zu.
»Aber es hat hier nie gelegen«, flüsterte er. »Das kann ich beschwören. Das Schiff – ähm – ich meine, der Grund war frei.«
»Wissen Sie das genau?«
»Ja, das schwöre ich Ihnen. Ein freier Grund, denn die Uferregion ist oft abgetaucht worden. Wir befinden uns ja noch in der Nähe des Ufers. Hier sind oft Taucher abgegangen, weil die Stelle auch recht ruhig ist. Man braucht keine Angst zu haben, schnell zu kentern. Deshalb kann ich nicht begreifen, dass Sie so etwas sehen.«
»Es trifft aber zu«, sagte ich. »Da wird es wohl am besten sein, wenn Sie sich selbst davon überzeugen. Sie werden es sehen können, wenn Sie sich konzentrieren.«
Er sah aus, als würde er mir nicht glauben. Dann überlegte er es sich anders, beugte sich zur Seite und schaute auf das Wasser. Er gab in den folgenden Sekunden keinen Kommentar ab, konzentrierte sich, aber ich hörte keine Erfolgsmeldung. Er richtete sich wieder auf, und ich sah in seinem Gesicht einen leicht verstörten Ausdruck.
»Und?«
»Ähm – ähm.« Er wischte über das Gesicht. »Seien Sie mir nicht böse, aber ich habe das Schiff nicht gesehen. Ehrlich nicht. Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen. Da ist nur das dunkle Wasser dort unten, aber ich sehe kein Schiff.«
Mir hatte es für einen Moment den Atem verschlagen. Ich überlegte auch, ob mich der gute Earl Cameron auf den Arm nehmen wollte. Das traute ich ihm eigentlich nicht zu. Ich kannte ihn als einen offenen und ehrlichen Menschen, der es nicht nötig hatte, mir irgendetwas vorzuspielen.
»So ist das, John.«
»Klar, ich verstehe.«
»Wollen Sie noch mal schauen?«
Diese Frage hätte er mir nicht zu stellen brauchen, das tat ich auch von allein.
Ich beugte mich über die wulstige Bordwand. Zuerst den Blick gegen die unruhige Wasserfläche, dann aber glitt er in die Tiefe, und meine Augen weiteten sich.
Ja, das Boot war vorhanden. Seine Umrisse malten sich ab. Ich sah den Mast und das Segel und auch den als Seeschlangenhals geformten Bugvorbau. Da war alles so geblieben wie beim ersten Mal, und trotzdem gab es jetzt, wo die Überraschung vorbei war, einen Punkt, der mich störte. Da mich der Anblick zu sehr ablenkte, richtete ich mich wieder auf, blieb normal sitzen und dachte darüber nach.
Earl Cameron schien zu ahnen, dass ich nicht gestört werden wollte, deshalb stellte er auch keine Frage.
Meine Überlegungen bewegten .sich in geraden Bahnen, und so stellte ich die erste Frage.
»Wie tief ist das Wasser?«
Der Mann deutete nach unten. »Hier? An dieser Stelle?«
»Genau!«
»Nicht sehr tief. Wir befinden uns hier mehr in einer flachen Zone. Das ändert sich sehr schnell.
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