Avanias der Große
dass er, solange er, sein Ziehvater, noch lebe, er nichts von seiner Theorie, woher er stamme, öffentlich machen würde. Dinjakis versprach es ihm. Nun war vor einem Jahr sein Ziehvater gestorben und somit Dinjakis' Zeit gekommen, in die Welt hinauszugehen und die Wahrheit zu predigen.
Er war ein Mann von kräftiger Statur. Eine besondere Ausstrahlung ging von ihm aus.
Zu Heerscharen strömten die Menschen herbei, um ihm zuzuhören.
„ Ohne Liebe gibt es kein Leben. Alle Menschen sind gleich! Oder würde einer von Euch behaupten, der oder die sei anders beschaffen und kein echter Mensch und daher minderwertig? Nein! Sie alle sind gleich vor den Augen Gottes, des Einzig Wahren! Daraus lässt sich erkennen, dass alle Menschen Brüder sind! Daher sage ich, nein, ich verlange von euch, liebt einander! Liebt auch die, die irgendjemand zu euren Feinden erklärt hat!“
Ein um einige Jahre älterer Mann als Dinjakis, bat die Menschen vor ihm, ihm Platz zu machen, um den Prediger gut sehen zu können. Zwar trug der Mann Zivilkleidung, jedoch verriet sein ungewöhnlich langer Bart seinen Status. Es war Bronanis, der Oberpriester von Östrake. Die Menschen erkannten ihn und traten zur Seite.
„Aber Meister! Was soll das für einen Sinn machen, seinen Feind zu lieben? Das ist doch gleich Selbstmord! Wollt Ihr etwa, dass wir alle uns dem Feind ergeben und freiwillig in den Tod gehen?“
„ Ich sage nicht, dass ihr euch dem Feind ergeben sollt! Ich sage, ihr sollt jeden Menschen lieben, auch wenn er euer Feind ist und euch hasst! Seid gütig und vergebt jedem, der euch Böses antun will! Das heißt aber nicht, dass ihr dem Bösen in der Welt einfach so zuschauen sollt! Nein, unternehmt etwas gegen das Übel dieser Welt! Ihr sollt leben und nicht tatenlos sterben! Euer Gott ist ein Gott des Lebens, nicht des Todes!“
„ Dann dürfen wir also schon in den Krieg gegen unsere Feinde ziehen, Meister?“
„ Wenn ihr so seid wie die anderen Völker, was würde euch dann besonders machen? Darum sage ich euch, seid ein gutes Vorbild für alle anderen Menschen! Dafür wird der allmächtige Gott, euer Vater im Himmel, der Einzig Wahre, er wird euch dafür hundertfach entlohnen. Seid vollkommen, so wie er vollkommen ist! Nur wenn alle Völker sich lieben und so einander näher kommen, hat die Menschheit eine Zukunft!“
Den Männern und Frauen um ihn herum gefiel Dinjakis' Predigt. Bronanis wusste nicht mehr, was er ihm entgegnen sollte. Nervös dachte er nach und wollte gerade seine Worte in den Mund nehmen, als plötzlich laute Stimmen in der Menge ertönten und einem Mann, der seine tote Tochter auf einer Bahre herbeitrug, Platz gemacht wurde. Einige alte Frauen in der Menschenmenge weinten. Der Vater des Mädchens sah heruntergekommen aus, er hatte nämlich ganze zwei Tage hindurch nur geweint. Das gerade einmal vier Jahre junge Mädchen sei durch sein Verschulden gestorben, erzählte er Dinjakis mit schriller Stimme, dabei mit einem von Tränen überströmtem Gesicht drein schauend.
Der Hohepriester, der direkt neben dem Vater des Mädchens stand, blickte die ganze Zeit Dinjakis verächtlich an, denn er wusste, was jetzt folgen würde. Der Vater des toten Mädchens versprach Dinjakis, ihm alles zu geben, was er von ihm verlangen würde, wenn er seine Tochter wieder zum Leben erwecken würde. Ein Raunen ging durch die Menschenmenge. Einige der Anwesenden lachten laut, einige schrien irgendetwas durch die Gegend. Sie konnten nicht glauben, was der Mann da vom Prediger gefordert hatte. Wie könne man einen toten Menschen wieder zum Leben erwecken, fragten sie sich. Dinjakis hob seine Hände und verlangte Ruhe. „Dieser Mann wäre nicht zu mir gekommen, wenn er nicht glauben würde, dass ich die Macht habe und dazu fähig bin, seiner Tochter das Leben wieder einzuhauchen! Ich sehe den Glauben in seinen Augen. Da du glaubst, soll deine Tochter wieder leben.“
Er eilte herüber zur Bahre, die sie vorsichtig auf den Boden gelegt hatten und legte seine rechte Hand auf die Stirn des toten Mädchens. Der alte Priester konnte dieses Schauspiel, was es nämlich in seinen Augen war, nicht mehr ertragen, aber er musste sehen, was passieren würde. Der Neid zerfraß ihn mehr und mehr. Dieser Dinjakis hatte die ganze Menschenmasse für sich gewonnen und er, Bronanis, der Hohepriester von Östrake, er war zu einem Zuschauer degradiert worden.
Die alten Frauen hörten auf, zu weinen und schrien nun, als das seit zwei Tagen tote
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