AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
Zeichnungen in der feuchten Ufermauer aufbewahrte, aber in Wirklichkeit lagen seine Lagerräume viel weiter stadteinwärts, in anderen, vergessenen Gewölben tief unter der Erde, die er ausfindig gemacht und in Besitz genommen hatte.
Man musste ein ganzes Stück durch feuchte, dunkle Gänge laufen, bis man sie erreichte, und am Anfang hatte Vitalonga Ninian ein Hanfknäuel mitgegeben, damit sie wieder zurückfand. Aber nun hatte sie schon so oft in den unterirdischen Schatzkammern herumgestöbert, dass sie den Weg auch ohne das Knäuel fand. Sie kam hierher, wenn Jermyn Vitalonga in einem unerklärlichen Anfall von Neugier über die Geschichte der Patriarchen ausfragte, deren blutige Windungen ihn faszinierten. Ninian langweilte sich bei den stummen Zwiegesprächen und Jermyn hatte nicht immer Lust, das Gehörte sofort zu wiederholen. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass er ihr später erzählte, was er von Vitalonga erfahren hatte.
Heute aber war sie alleine gekommen, weil er gleich nach ihren Übungen etwas von Geschäften gemurmelt hatte und verschwunden war.
Sie saß zwischen den vollgestopften Regalen und nieste, wenn ihr der Staub der alten Folianten in die Nase stieg. Ein Jammer, dass sie Kamante nicht hierher schicken konnte ...
Schließlich hatte sie genug, Abbildungen oder Schilderungen von Seeschlachten hatte sie keine gefunden, dafür aber andere bemerkenswerte Berichte und mit zwei dünnen Bänden machte sie sich auf den Rückweg. Noch ein ganzes Stück von Vitalongas Hinterzimmer entfernt, hörte sie Jermyns aufgebrachte Stimme und beeilte sich, den Rest des Weges zurückzulegen.
Als sie staubverschmiert und mit Spinnweben im Haar in die Stube trat, fand sie die beiden Männer in alles andere als ein stummes Zwiegespräch verwickelt.
»Und was sollte mich daran hindern, ihm seinen verdammten Hochmut auszutreiben? Ich war sogar bereit, ihn zu bezahlen, aber wenn er mir so kommt, wird er verdammt nochmal alles umsonst machen und mir auch noch dankbar sein, der eingebildete Sack!« Jermyns Augen glitzerten bösartig, aber auch der alte Mann war erregt, wie Ninian ihn selten gesehen hatte. Furchtlos starrte er Jermyn an und gestikulierte mit den Armen. Krampfhaft bewegte sich der Mund unter dem spärlichen grauen Bart und empörte, krächzende Laute kamen aus seiner Kehle.
Das, was er zu sagen hatte, musste von einigem Gewicht sein, denn Jermyn schwieg verärgert und presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.
»Was ist los?«, fragte Ninian. »Warum streitet ihr?«
»Er will nicht, dass ich dieses Aas Violetes zwinge, endlich mit unseren Bauarbeiten anzufangen«, knurrte Jermyn. »Er meint, Künstler darf man nicht zwingen - so ein Schmonzes!«
Vitalonga wedelte drohend mit dem Finger und deutete entschieden auf Ninian.
»Er will, dass ich dir sage, was er damit meint«, begann Jermyn verdrossen. »Ein Künstler - offenbar hält er den alten Mörtelklopfer dafür ... schon gut, schon gut, ich wiederhole nur Eure Worte. Also, ein Künstler kann nur mit freiem Geist arbeiten. Man kann ihn nicht zwingen, wenn man ihm nicht wirkliche Gewalt antun will, nicht dass mir das schwerfallen würde, wie etwa ...«, er stockte und zu Ninians Verblüffung errötete er und schüttelte unwillig den Kopf. Vitalonga schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, so dass vier kleine Tierköpfe aus vergoldeter Bronze, die einst ein Zaumzeug geschmückt hatten, klirrend hochsprangen. Ohne darauf zu achten, bedeutete der alte Mann Jermyn weiterzureden.
»... wie etwa seine Familie zu ermorden, ihm die Zunge herauszureißen, seine Nase aufzu...«
»Ja, ja, ich habe schon verstanden«, unterbrach Ninian hastig die Aufzählung weiterer Gräuel, »man kann also einen Künstler nicht zwingen.«
»Nein, nicht wenn er sein Bestes geben soll und ein wirklicher Künstler kann nicht anders, als sein Bestes zu geben oder es wenigstens zu versuchen. Also darf ich Violetes nicht zwingen, zu uns zu kommen. Lenken kann ich ihn nicht, denn ...«, er lauschte der Stimme in seinem Kopf, »... denn in Fragen der Baukunst bin ich ahnungslos wie ein Säugling und es würde nur Pfusch dabei herauskommen, vielen Dank, Vitalonga. Seid Ihr nun zufrieden?«
Der Kunsthändler hatte sich wieder beruhigt und nickte milde, die trüben Augen fragend auf Ninian gerichtet.
»Ich fürchte, er hat recht«, sagte sie zögernd, »es sieht so aus, als müssten wir auf unsere Badestube verzichten und auf unseren Anschluss an den Kanal, wie
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