AvaNinian - Drittes Buch (German Edition)
hoch, Bulle«, er deutete auf die Brüstung vor der untersten Sitzreihe, »ich werf dir das Seil zu, damit du mich sicherst. Binde es um den Leib. Ich lass mich an der Mauer runter und schau mir die Sache von unten an. Kommt nur näher, ihr Schafsköpfe, wenn ihr auch einbrechen wollt«, schrie er den Schaulustigen zu, die mit der unbezähmbaren Neugier des Volkes von Dea näher gekommen waren. Es schien ihn nicht zu stören, dass auch die vornehmen Sammler unter ihnen waren.
In respektvollem Abstand beobachteten die Männer, wie Jermyn in der Tiefe verschwand, während der Meisterringer sich über ihm über die Brüstung beugte und langsam das Seil durch seine mit Lumpen umwickelten Hände laufen ließ.
Jermyn tastete sich mit bloßen Füßen die Mauer hinunter, die Steine waren kühl und feucht unter seinen Sohlen. Ein klammer, modriger Hauch stieg aus der seit vielen Jahrhunderten unberührten Unterwelt herauf und ließ ihn frösteln. Es war eine andere Kälte als in den unterirdischen Räumen, in denen sie gearbeitet hatten. Lag nicht etwas Wahres in dem Gerede von Flüchen, schoss es ihm durch den Kopf. Wenn nur Ninian hier wäre, für sie gab es keinen Schrecken unter der Erde.
»Waschweib«, schalt er sich, »kannst du nichts ohne sie machen?«
Er zwang sich, nicht an das Geschwätz der alten Männer zu denken, und schließlich berührten seine Füße den schuttbedeckten Boden, ohne dass er etwas Schlimmerem begegnet war als Spinnen und Asseln, die eilig das Weite suchten.
Zweimal ruckte er am Seil, zum Zeichen, dass er wohlbehalten unten angekommen war, und zog die Stiefel an, die er sich um den Hals gehängt hatte. Im Licht der Pechfackel, die er entzündet hatte, sah er sich um. Der unterirdische Hohlraum war nicht groß, nur wenige Fuß von ihm entfernt ragte schon wieder eine Mauer empor, auf der die Balken der Arena ruhten. An einer Stelle war sie zu einem Pfeiler verstärkt und darüber müsste man ohne Gefahr die Seilwinde aufstellen können. Und das möglichst schnell ... er spürte die Qualen der Verunglückten als dumpfen Schmerz in seinen Schläfen und verdichtete seine Sperren.
Das Stöhnen wurde lauter, als sie das Licht der Fackel erblickten. Jermyn stieg über das Geröll hinweg zu ihnen. Die armen Kerle lagen eingeklemmt zwischen den Trümmern des Gerüsts, nur einer war ein Stück weggeschleudert worden. Er hatte sich aufgerichtet und hielt sich ächzend den Schädel, doch schien er nicht ernsthaft verletzt. Jermyn kniete bei ihm nieder. Ein junger Bursche, fast noch ein Kind, aber er brachte ein klägliches Lächeln zustande. Jermyn grinste aufmunternd zurück.
»Na, noch alles beisammen?«
Der Junge antwortete nicht, seine Augen weiteten sich, die Farbe wich aus seinem Gesicht, in hohem Bogen erbrach er sich über den Schutt. Jermyn drehte sich um. Unwillkürlich umklammerte er den Fackelgriff fester.
Hinter ihm ragten hölzerne Stützpfeiler auf, einige waren abgebrochen und einer der Unglücklichen war daraufgefallen, der eisenharte Stumpf hatte ihn buchstäblich aufgespießt, die zersplitterte Bruchstelle ragte einen Fuß weit aus dem Leib des Mannes. Jermyn biss die Zähne zusammen und stand auf.
Die Lider des Mannes waren halb geschlossen, das Weiße schimmerte gespenstisch darunter hervor. Ein qualvolles Grinsen entblößte die Zähne, pfeifend ging der Atem durch die zitternden Nasenflügel. Er lebte noch.
Ohne nachzudenken legte Jermyn seine Hand auf die Stirn des Mannes. Das Blut schoss ihm in den Kopf, beinahe hätten seine Beine nachgegeben, als er in die Qual des Mannes eintauchte. Sein Geist tastete nach der zitternden Lebensflamme, ein kurzer, schneller Stoß und die verkrampften Glieder erschlafften.
Jermyn lehnte sich an die Mauer, bis sich sein Herzschlag etwas beruhigte. Zum ersten Mal hatte er einem Menschen auf diese Weise das Leben genommen. Aber es war recht, nicht wahr, Vater Dermot? Niemand hätte ihm helfen können ...
Das würgende Schluchzen in seinem Rücken brachte ihn zu sich. Er stolperte zu dem Jungen und schüttelte ihn grob.
»Heul nicht, dir geht’s besser als den anderen. Versuch aufzustehen.«
Erschrocken verstummte der Junge, rappelte sich auf und humpelte hinter Jermyn her zu seinen Gefährten, wobei er es sorgfältig vermied, zu der stillen Gestalt auf dem Pfahl zu sehen.
Die drei waren schlecht genug dran, einer schien keine äußeren Verletzungen zu haben, aber er rührte sich nicht, sein Atem kam schnell und flach und sein Gesicht
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