AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
wisperte:
»Sei bloß vorsichtig, Patron. Auch mit deinem neuen Kumpel, den kennste doch kaum ...«
Jermyn grinste breit.
»Da mach dir mal keine Gedanken. Auf meine ... meinen Kumpel kann ich mich verlassen. Halt dich wacker, Wag, und denk an das, was ich dir gesagt habe.«
Dann war er fort und Wag versuchte sich an alles zu erinnern, was sein Patron ihm aufgetragen hatte.
Nachdem sie das Ruinenfeld hinter sich gelassen hatten, führte Jermyn Ninian durch enge Gassen und finstere Hinterhöfe zu der Stelle, wo die Stadtmauer den Palast des Ehrenwerten Fortunagra begrenzte. Er hätte die Stelle im Schlaf gefunden und so erzählte er ihr auf dem Weg von dem Brautschatz und seinem Verschwinden. Als er den Namen des Bräutigams erwähnte, blieb sie stehen.
»Meinst du Artos Sasskatchevan? Den kenne ich!«
»Was? Woher?«
Ninian kicherte.
»Erinnerst du dich nicht? Ich sagte doch, ich hätte einige vornehme junge Herren kennengelernt. Artos ist einer von ihnen. Er hat mich in der Stadt herumgeführt und hatte Mühe, seine Hände bei sich zu behalten.«
»Der Bastard«, stieß Jermyn zwischen den Zähnen hervor, »angeblich ist seine erste Frage jeden Morgen, ob der Brautschatz nicht endlich aufgetaucht ist, weil es ihn so dringend nach der Hochzeit verlangt. Und er hatte die Unverschämtheit, dich anzugrapschen? Wieso hast du ihm nicht seine verdammten Finger verbrannt?«
Es war nicht die Zeit für Eifersucht, aber die Worte waren heraus, bevor er sie zurückhalten konnte.
Ninian zuckte die Schultern.
»Wozu sollte ich mich aufladen? Ich dachte, mit einem so vornehmen Begleiter sei das nicht nötig. Aber, dass Ihr es wisst, junger Herr, ich kann mich gegen Zudringlichkeiten dieser Art auch auf andere Weise wehren.«
Ihre Stimme klang eisig, ganz das beleidigte Fräulein, und er lachte beruhigt.
Während sie weitergingen, sagte sie: »Wie ein trauernder Bräutigam wirkte er jedenfalls nicht und seine Hochzeit hat er mit keinem Wort erwähnt.«
»Wundert mich nicht, Sabeena scheint auch nicht wild auf diese Ehe zu sein, aber einige Großkopferte wollen diese Hochzeit unbedingt und ein mächtiger Patron will sie um jeden Preis verhindern. Aber mit unserer Hilfe, werte Freundin, wird sie stattfinden, wenn wir jetzt aufhören zu quatschen und uns beeilen.«
Im Laufschritt legten sie den Rest des Weges zurück. Als sie ihr Ziel erreicht hatten, ließ Jermyn den Beutel zu Boden gleiten und zog die Stiefel aus. Ninian trat zu der jäh aufsteigenden, fugenlosen Wand. Weit über ihr hob sich die Mauerkrone silbrig von dem nachtdunklen Himmel ab, sie musste den Kopf in den Nacken legen, um hinauf zu sehen.
»Da soll ich hoch? Du bist nicht bei Trost! Ich rufe einen Wirbelwind ...«
Jermyn, der die Lederstreifen um seine Füße wickelte, knurrte ohne aufzusehen: »Untersteh dich! Damit weckst du sofort das ganze Viertel. Stürme sind um diese Jahreszeit so selten wie ein nüchterner Nachtwächter.«
Als die Lederbänder zu seiner Zufriedenheit saßen, stand er auf und trat zu Ninian, die immer noch zweifelnd die Mauer betrachtete. Er drehte sie sanft zu sich herum.
»Du wirst da hochkommen, ich weiß es. Ich sage dir genau, was du tun musst und du machst mir alles nach, wie am alten Turm. Erinnerst du dich?« Aufmunternd drückte er ihre Schulter und sie nickte wortlos. Nichts hatte sich geändert. Sie würde ihm folgen, wohin er sie führte.
»Schau, hier geht's am besten. An einigen Stellen hab ich Haken eingeschlagen. Ich steige zuerst hinauf, lege das Seil und hole dich. Zieh derweil die Füßlinge an und pack die Stiefel in den Sack.«
Er hängte sich das Seil um und begann den Aufstieg. Ninian schien die Stelle ebenso abweisend glatt wie jede andere. Sie sah ihm nach und vergaß darüber, was er ihr aufgetragen hatte. Wie ein Schatten glitt er im silbrigen Mondlicht die Wand hinauf, scheinbar mühelos von einem Griff zum nächsten, sie konnte nicht erkennen, wo er Halt fand. Ab und zu verharrte er und sie hörte das leise Klappern von Metall. Sonst bewegte er sich ohne einen Laut. Als er sich auf den Rückweg machte, beeilte sie sich, ihre Schuhe zu wechseln. Sie war gerade fertig, als er neben ihr zu Boden sprang.
»Das war's«, flüsterte er, »sitzen die Dinger gut? Ja, so geht's. Ich nehm den Beutel.« Er half ihr auf und führte sie zu der Stelle, wo das Ende des Seils herabhing.
»Die ersten Längen musst du allein schaffen, aber hier und hier kannst du die Füße einsetzen. Wenn du dir
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