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AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)

AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)

Titel: AvaNinian – Erstes Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Norman
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du weiter?«
    Ninian nickte.
    »Mach das Seil ab, wir brauchen es.«
    Sie nestelte an dem Knoten, doch die ungewohnte Anstrengung hatte ihre Gelenke steif gemacht. Jermyn rutschte näher. Sie spürte seine Finger unter der Brust und hielt den Atem an. Sein Gesicht lag im Schatten, aber seine Hände arbeiteten ruhig und sicher. Trotzdem wurde ihr heiß unter der Kapuze, bis das Seil endlich gelöst war.
    Lautlos krochen sie über die Mauerkante, die ausreichend Platz für Hände und Knie bot. Als die Dächer unter ihnen lagen, schlug Jermyn vorsichtig einen Haken in eine Mauerritze, zog das Seil doppelt durch die Öffnung und schlang es um sich.
    »Weißt du noch, wie du dich abseilst? Mach mir einfach alles nach, aber lass dich nicht zu schnell runter, sonst reißt du dir die Hände auf. Alles klar?«
    »Ja, ja.«
    Es konnte ihr nicht schnell genug gehen, auf dieser Mauer fühlte sie sich im hellen Mondschein allen Blicken ausgesetzt.
    Jermyn verschwand in der Tiefe und nur wenig später zuckte das Seil zweimal. Ninian legte es über ihre Schulter, schwang ein Bein über den Doppelstrang und ließ sich langsam nach unten gleiten. Mit den Füßen bremste sie ihren Fall. Das Seil reichte nicht bis zum Dach und sie hörte Jermyn leise rufen:
    »Spring, es ist nicht so tief, ich fang dich auf.«
    Sie ließ sich fallen. Im nächsten Moment spürte sie seine Arme um sich, aber er gab sie sofort frei, als sie festen Stand gewonnen hatte.
    Nachdem er das Seil gelöst hatte, liefen sie gebückt über die Dächer der Wirtschaftsgebäude. Einige waren mit Kupfer gedeckt und bei aller Vorsicht konnten sie nicht verhindern, dass die Platten unter ihren Schritten leise dröhnten. Im Schatten eines Kamins kauerten sie sich nieder und warteten atemlos, ob sich etwas rührte. Alles blieb still und ohne Zwischenfälle setzten sie ihren Weg zum östlichen Flügel fort.
    Sein Dach lag nur ein Stockwerk höher als der Nebentrakt und über der Schmalseite erhob sich ein Treppengiebel. Ein harmloses Stück Kletterei, doch als sie auf der untersten Giebelstufe kauerten und auf die Dachfläche hinausblickten, stieß Jermyn einen leisen Pfiff aus.
    »So ein misstrauisches Vieh!«
    Das Dach neigte sich nur schwach, aber die Schindeln glitzerten unheilverkündend im kalten Mondlicht. Sie waren übersät mit scharfkantigen Bruchstücken von Glas und Steinzeug, nur der schmale First war frei davon.
    »Er will nicht, dass jemand über das Dach eindringt«, meinte Ninian.
    »Oder darüber entkommt«, erwiderte Jermyn grimmig. »Hier hab ich Wag gefunden und er war nicht freiwillig Gast des Ehrenwerten! Aber uns werden die paar Scherben nicht aufhalten.«
    Wie Wasserspeier hockten sie geduckt zu beiden Seite der Giebelkrone.
    »Das ist zu schmal zum Kriechen«, murmelte Jermyn, »wir müssen es machen wie die Seiltänzer.«
    Er richtete sich auf, prüfte den Sitz des schweren Beutels und schob vorsichtig einen Fuß auf den schmalen Grat. Ninian folgte ihm.
    Schritt für Schritt kamen sie vorwärts, mit ausgebreiteten Armen das Gleichgewicht haltend, die Blicke fest auf das hellgraue Band des First gerichtet. Aus den Augenwinkeln sah Ninian zu beiden Seiten die Scherben glitzern und unwillkürlich schauderte sie. Das Dach war so flach, dass sie den Abgrund nicht fürchten mussten, selbst wenn sie ausglitten, aber ein Sturz auf diesen mörderischen Belag würde nicht ohne üble Verletzungen bleiben.
    Sie hatten den Turmsockel fast erreicht, als Stimmen vom Hof herauf klangen. Jemand rief laut nach Pferd und Wagen für den Herrn, man hörte Pferde wiehern und das Rollen leichter Räder. Die zwei Gestalten auf dem First erstarrten. Sie mussten sich deutlich gegen den Sternenhimmel abheben. Wenn nur einer dort unten den Blick hob ...
    Doch der Hausherr hatte es eilig. Eine Peitsche knallte, ein zorniger Ruf erscholl, gefolgt vom Schmerzenschrei eines Dieners, der nicht schnell genug gewesen war. Hufe donnerten über das Pflaster, als die Kutsche zum Tor hinaus jagte, und der Hof lag wieder still.
    Leben kam in die Statuen auf dem Dach. So schnell sie es wagten, legten sie die letzten Schritte zurück, zogen sich auf die nächste Sockelstufe hoch und ließen sich im Schatten des Turmes zu Boden sinken.
    »Das war knapp«, stöhnte Jermyn und rieb sich die Zehen, die er sich in den dünnen Lederstreifen empfindlich gestoßen hatte. »Aber jetzt wissen wir wenigstens, dass wir in seinem Schlafgemach ungestört sein werden. Ruh' dich aus, ich schau mich

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