AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
um sie zu betrachten.
Das Tuch, das ihr Haar verborgen hatte, löste sich und flatterte zu Boden. Der Wind fuhr in die dunklen Locken und sie bückte sich ärgerlich, als ein Schatten über sie fiel. Ein Stiefel stellte sich auf das Tuch. Als sie sich aufrichtete, blickte sie in ein halbes Dutzend erfreuter Gesichter.
»Ei, wen haben wir denn da? Das ist ja gar kein Junge, wie nett. Was machen wir mit ihr, Freunde? Rufen wir die Wächter oder kümmern wir uns selbst um sie?«
Auf ihren Streifzügen durch die Stadt trug Ninian Männerkleidung, sie war von einem zierlichen Jüngling kaum zu unterscheiden. Der junge Mann, der auf ihrem Tuch stand, grinste breit. Er war unzweifelhaft ein Junker, elegant und geckenhaft gekleidet, in engen, rot und grün geflammten Beinlingen, wie es die Mode verlangte. Das kurze Wams aus grünem Brokat stand über der Brust offen. Es bedeckte kaum seine kräftigen Hinterbacken und der Schambeutel, den er ungeniert zur Schau stellte, hatte geradezu groteske Ausmaße. Ein grüne, goldbestickte Kappe saß verwegen auf seinem Hinterkopf. Seine Begleiter versuchten ihm an Pracht gleichzukommen, aber er war der unbestrittene Anführer der Gruppe. Er warf das Tuch mit der Stiefelspitze hoch, fing es auf und trat einen Schritt auf Ninian zu.
»Was gibst du mir dafür, Süße? Einen Kuss oder zwei?«
Sein Atem roch nach Wein und Ninian wich zurück, bis sie den kalten Sockel im Rücken spürte. Er lachte hässlich und kam näher. Die anderen rückten nach und versperrten die Sicht, aber sie ahnte, dass sich auch niemand um sie gekümmert hätte, wenn sie für alle Augen sichtbar gewesen wäre. Sie seufzte.
»Du fühlst dich wohl recht schneidig, was? Gib mir mein Tuch und verschwinde, dann passiert dir auch nichts«, sagte sie freundlich und erntete schallendes Gelächter.
»Habt ihr gehört, Freunde? Dann passiert mir nichts! Na, da bin ich ja beruhigt, mein Täubchen. Was soll mir denn auch zustoßen, he? Aber bitte, hier ist dein Tuch!«
Er warf es ihr über den Kopf und hielt es an beiden Enden fest, um sie an sich zu ziehen. Ninian hob die Hand und er haschte spielerisch danach. Seine Finger hatten sich kaum um ihre geschlossen, als er erstarrte. Das Grinsen wurde zu einer gepeinigten Grimasse. Ein Krampf lief durch seinen Leib, Ninian entriss ihm ihre Hand, die er wie ein Schraubstock umklammerte und stieß ihn von sich. Er taumelte, brach durch die Reihe seiner entsetzten Freunde und stürzte rücklings die Stufen hinunter. Schwer schlug er auf den bunten Steinplatten auf, wo er stöhnend liegenblieb, die Hand an der Brust bergend. Seine Gefährten glotzten, sie verstanden nicht, was ihm widerfahren war, dennoch wandten sie sich drohend dem Mädchen zu.
Ninian sah ihnen wachsam entgegen. Sie war froh, den Sockel im Rücken zu haben, denn eine Reihe von Püffen würde sie einstecken müssen, bevor den Schwachköpfen aufging, dass es besser war, sie in Ruhe zu lassen.
»Oi, Freunde, was treibt ihr? So viele große, starke Männer gegen ein Mädel?«
Die fünf fuhren herum. Jermyn stand breitbeinig hinter ihrem Anführer, der mühsam versuchte sich aufzurichten. Er maß die Burschen so herablassend, dass Ninian beinahe laut aufgelacht hätte. Besonders einschüchternd wirkte er nicht und einer knurrte:
»Er ist alleine, mit der halben Portion werden wir zwei schon fertig. Ihr anderen nehmt euch die Kleine vor.«
Sie senkten die Köpfe zum Angriff und kamen drohend die Stufen herunter. Jermyn rührte sich nicht, er hob nur das Kinn und seine schwarzen Augen glänzten.
Der Junker am Fuß der Treppe hockte jetzt auf den Knien, die Hand immer noch an die Brut gedrückt. Er starrte auf die roten Stacheln.
»He, du, dich ... dich kenn ich doch. Du bist Jermyn«, er winkte seinen Spießgesellen, »kommt, mit dem legen wir uns nicht an.«
»Aber ...«
»Habt ihr nicht gehört?«, bellte er. »Mit denen legen wir uns nicht an, sie ist genauso schlimm wie er. Wir verschwinden.«
Jermyn beachtete ihn so wenig als wäre er Luft.
»Was ist?«, rief er Ninian zu. »Willst du da oben Wurzeln schlagen? Ich hab dich gesucht.«
Sie schlängelte sich zwischen den Männern hindurch, die ihr zögernd Platz machten. Im Gehen band sie ihr Tuch auf.
»Ich hatte keine Lust auf dein langweiliges Spiel«, meinte sie spitz.
»Von wegen ,langweiliges Spiel', ich habe meinen doppelten Einsatz gewonnen.«
»Außerdem hab ich Hunger.«
»Schon wieder? Na gut, suchen wir was zu essen.«
Sie
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