AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
wolltest du glasierte Erdbirnen. Was kam dann? Ach ja, dicke Milch mit Sirup, brrr, Nudelsuppe und jetzt dieses Schmorfleisch, das ging ja noch, aber wenn ich dich nicht abgehalten hätte, hättest du auch noch diese merkwürdigen Glibbertiere gegessen.«
Er lachte plötzlich. »Im Haus der Weisen ist mir gar nicht aufgefallen, welchen Wert du auf's Essen legst.«
Ninian schluckte hastig den Bissen herunter, an dem sie gekaut hatte.
»Weil du immer allein dagesessen bist und uns mit Verachtung gestraft hast!« Sie warf den Rest ihres Fladens einem streunenden Köter zu, der sich gierig darauf stürzte.
Als sie Jermyn ansah, war das Lachen aus seinem Gesicht verschwunden. »Ihr wolltet mich nicht dabei haben«, sagte er ruhig, aber die Bitterkeit in seiner Stimme war nicht zu überhören.
Ninian wich seinem Blick aus, sie stand auf und hielt ihre Hände in den Wasserstrahl. Sie spürte seine Augen in ihrem Rücken.
»Vielleicht, aber das war damals, Jermyn. Jetzt ist alles anders, nicht wahr?« Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang sie die Stufen hinunter und stürzte sich in den Menschenstrom. Als er sie eingeholt hatte, war die Spannung verschwunden und sie stritten darüber, welches der schnellste Weg zu den Handelshallen war.
Diesen Ort liebten sie beide. Ninian wegen der Vielfalt der Waren, die ihren Sinn für Schönes und Seltenes begeisterten; Jermyn, den die Vorstellung berauschte, nun mit den reichen Kaufherrn und ihren vornehmen Kunden mithalten zu können.
Die Hallen stammten aus dem letzten Jahrhundert der alten Kaiserherrschaft und waren von gigantischen Ausmaßen. Weder die plündernden Barbaren noch die Horden der rivalisierenden Kriegsherren, die ihnen gefolgt waren, hatten die Gewölbe zerstören können. Unzählige Händler hatten ihre Stände in den Nischen des unteren Stockwerks, rund um die Haupthalle, wo die Warenladungen aus dem Überseehandel versteigert wurden. Würdige, prächtig gekleidete Herren sprachen mit gedämpfter Stimme, strichen sich die gepflegten Bärte. Ab und zu hoben sie die Gehstöcke mit den Goldknäufen oder neigten kaum merklich den Kopf. Damit wechselte eine Flottenladung Weizen, die Wolllast eines Wagenzugs oder die Schulden einer Stadt den Besitzer, ohne dass die Herren sich von der Stelle bewegt hätten. Sie waren mächtiger als jeder Fürst.
Einmal hatte Jermyn mit dem Kinn auf einen alten, breitschultrigen Mann mit eisenhartem Gesicht und stechenden Augen gedeutet. Überaus reich gekleidet, die knotigen Finger mit schweren Ringen geschmückt, hatte er einen ganzen Schwarm von Kaufleuten und Müßiggängern hinter sich hergezogen. Selbst die würdigsten Männer waren vor ihm aufgestanden und hatten sich verneigt.
»Schau, das ist der alte Sasskatch, der Vater unseres prächtigen Artos. Es heißt, er sei so reich, das er die ganze Stadt kaufen könnte. Wer weiß,
vielleicht hat er es schon getan. Die Belohnung, die wir ihm abgeknöpft haben, merkt er gar nicht.«
Im oberen Stockwerk ging es ruhiger zu, wer hier Geschäfte machte, hatte Zeit und Muße.
Nicht jedem wurde der Zugang gestattet. Bewaffnete Wächter am Fuße der Treppen musterten jeden Besucher eingehend und fragten im Zweifelsfall streng nach seinem Begehr.
War die Auskunft nicht befriedigend oder wurde sie gar verweigert, kreuzten sie die Hellebarden und schickten ihn seiner Wege. Die Kaufleute bezahlten die Wächter selbst und sie zahlten gut, denn in den oberen Ständen lagen Juwelen, Gold- und Silberarbeiten. Es duftete nach Gewürzen und Spezereien, die mit Gold aufgewogen wurden und die kostbarsten Spitzen und Brokatgewebe wurden dort gehandelt.
Ein Mädchen in Junkertracht und einen jungen Mann mit roten Stacheln auf dem Haupt hätten die Wächter nie eingelassen, aber vor Jermyn und Ninian senkten sie ohne Zögern ihre Waffen.
»Wir sind ein vornehmes Ehepaar und wollen einen Hausaltar in Auftrag geben, meine Werteste«, flüsterte Jermyn, während sie die Treppen hinaufstiegen und Ninian kicherte.
Im sanften Licht der Messingampeln, die mit ihren bunten Glaseinlagen selbst wie kostbare Geschmeide wirkten, schimmerten Gold und edle Steine neben kühlem Silberschmuck und Gefäßen aus Bergkristall.
Als sie an einem Stand stehen blieben, kam der Händler, ein hagerer Mann im schwarzen Samtwams, eilfertig herbei. Lächelnd schob er ein Tablett nach vorne und seine großen Zähne blitzten mit den Steinen um die Wette.
»Junger Herr, eine einmalige Gelegenheit. Schenkt Eurer Dame ein
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