AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
sie nicht gestört hätte, und sich zu fragen, was er jetzt trieb.
In der dunklen Stunde vor der ersten Dämmerung war es selbst in Dea still und Jermyn begegnete niemandem, als er durch die menschenleeren Straßen schlich. Gekleidet zu einem nächtlichen Einbruch, bewegte er sich in den weichen Stiefeln lautlos wie die Katzen, die zu dieser Stunde ihren heimlichen Geschäften nachgingen. Nur einem scharfen Blick wäre aufgefallen, dass er statt eines Gürtels ein Seil umgeschlungen hatte. Alles, was er brauchte, hatte er in der Innentasche des Kittels verstaut.
Es hatte sich kaum abgekühlt, die sommerliche Glut staute sich zwischen den Mauern, dennoch hatte er die Kapuze tief in die Stirn gezogen. In der Nacht vor der Hochzeit waren mehr Wachleute als sonst unterwegs, besonders in diesem Viertel. Wenn er in Eile ihre Erinnerung an ihn löschen musste, konnte er nicht genau arbeiten und es fiel auf, wenn sich so ein Tropf plötzlich nicht mehr an seinen Vorgesetzten oder seine Eheliebste erinnerte. Bei diesem Unternehmen durfte keine Spur zurückbleiben, kein Schatten eines Verdachts.
Er verzog das Gesicht, als er an das dreiste Bademädel am Brunnen dachte. Das Herz war ihm stehen geblieben bei ihren frechen Worten. Wie blöde war er gewesen, sich ausgerechnet mit einem Mädchen aus der Nachbarschaft einzulassen! Bysshes Gefährtinnen wussten davon und dachten sich ihren Teil, wenn sie ihn mit Ninian sahen.
Aus Angst vor dem, was die kleine Schlampe noch von sich geben würde, hatte er ihr alle Erinnerungen an das letzte Jahr genommen. Es war ihm gleich, wenn die anderen Mädchen merkten, was er ihr angetan hatte. Sollten sie ruhig lernen, ihn zu fürchten und den Mund zu halten.
Er biss sich auf die Lippen. Ninian musste es auch gemerkt haben, er konnte nur hoffen, dass sie glaubte, er habe das Mädchen für seine Frechheit gestraft. Aber er würde noch viel mehr tun, er würde vor nichts zurückschrecken, um zu verhindern, dass sie von Bysshe erfuhr!
Hinter ihm näherten sich rasche Schritte und angestrengtes Atmen. Jermyn trat zur Seite und verschmolz mit dem Schatten einer Zypresse, die streng und schwarz aus ihrem Steintrog aufragte. Vier Läufer keuchten vorbei, eine dicht verhangene Sänfte zwischen sich. Er wartete, bis ihre Schritte in der Ferne verklungen waren. Auf den Weg musste er nicht achten, er kannte diese Gegend so gut, dass er sich im Schlaf zurechtgefunden hätte und seine Gedanken schweiften wieder zu LaPrixa.
Von ihr ging eine viel größere Gefahr aus, mit ihr hatte er nicht so leichtes Spiel.
Am liebsten würde er keinen Fuß mehr in ihr Badehaus setzen, aber es war das nächste am Ruinenfeld. Manchmal war Ninian die kalten Wassergüsse in der Waschhütte leid und wie sollte er sie abhalten, zu LaPrixa zu gehen, ohne dass sie Verdacht schöpfte? Wut packte ihn, wenn er daran dachte, wie die Hautstecherin zwischen sie getreten war. Sie hatte es mit Bedacht getan, aber warum? Was hatte sie dagegen, dass er Ninian küsste? Trug sie es ihm immer noch nach, dass er Bysshe benutzt und verschmäht hatte?
Sie wachte allerdings wie eine Raubtiermutter über ihre Mädchen, er erinnerte sich nur zu gut daran, wie sehr sie den Mann mit dem Goldnagel und seine Spießgesellen gehasst hatte. Seit sie keine Leibeigene mehr war, hatte sie schon dreimal schweres Geld für die Freilassung eines Mädchens gezahlt.
Am Ende der Straße tauchten zwei Gestalten mit Hellebarden auf und er bog in eine Seitenstraße ein. Es gab viele Wege zu seinem Ziel.
Die Hautstecherin war ihm ein Rätsel und das behagte ihm nicht. Sie war ihm dankbar und nahm keinen Lohn für ihre Dienste. Die Haarstacheln verlangten ständige Pflege, den Ohrring hatte sie ihm eingesetzt, ohne dass es eine schwärende Wunde gegeben hatte, wie es leicht bei solchen Verschönerungen geschah. Cheroot rasierte ihn auf ihre Anweisung – Jermyn berührte flüchtig sein Kinn und lächelte, er fürchtete die sanfte Klinge nicht mehr. Wenn sie das Badehaus besuchten, bot LaPrixa ihnen Wein auf Kosten des Hauses an, und als sie begriff, dass sie nichts Berauschendes tranken, sorgte sie für Kahwe und hielt eine Bilha bereit, für die Ninian eine unbegreifliche Vorliebe entwickelt hatte.
Das Seltsamste war jedoch, dass die Hautstecherin offenbar an ihrer Gesellschaft Gefallen fand und sie nach jedem Besuch in ihr luxuriöses Behandlungszimmer einlud. Dort schwatzte sie durchaus amüsant über dieses und jenes, wenn auch ihre scharfe Zunge
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