AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
kämpfen gehabt und wie immer Zuflucht bei schnippischen Worten gesucht.
Doch Jermyn ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, er lachte über ihre Sticheleien ebenso wie über ihre Ängste. Ein Glitzern lag in den schwarzen Augen, um keinen Preis würde er heute auf den Spaß verzichten, Duquesne die Stirn zu bieten.
Wag hatten sie bald im Gedränge verloren, aber Ninian hatte Jermyns Hand ergriffen, um nicht von ihm getrennt zu werden. Wenn er entschlossen war zu stehlen, so war sie ebenso entschlossen, auf ihn aufzupassen. Sie wollte ihn ganz und heil!
Er reckte sich, um die Menschenmenge zu überblicken – auf der Suche nach einem lohnenden Opfer, wie sie sehr wohl wusste.
Sie fühlte sich unbehaglich zwischen den heißen, schwitzenden Leibern und bedauerte die anderen Frauen in ihrem Festtagsstaat. Den großzügig entblößten Busen deckten meist nur leichte Halstücher, aber unter den langen, faltenreichen Röcken und engen Miedern mit ihren Stäben und Rosshaarpolstern musste es unerträglich sein.
Ihre eigenen Beinlinge waren so dünn, wie ein guter Strumpfwirker es nur fertig brachte, und über Busenband und Schambinde trug sie nur ein leichtes Hemd aus dem hauchfeinen, durchscheinenden Leinenzeug, auf das ihre Mutter so stolz war. Sie hatte nicht gewagt, auf das Wams zu verzichten, aber darunter klebte ihr das zarte Gewebe an der Haut.
Verdrossen blickte sie auf Jermyns Rücken. Wie glücklich die Männer dran waren! Sein Hemd war weit nach hinten gerutscht, winzige, rotgoldene Härchen schimmerten auf dem braunen Nacken. Ein kaum bezähmbares Verlangen überfiel sie, ihn zu berühren, ihre Finger vom Haaransatz über die Wirbel gleiten zu lassen, von einem zum anderen, tiefer und tiefer ... sie spürte die verräterische Hitze und biss sich auf die Lippen. Wenn es so weiter ging, würde sie sich bald vor ihm auf dem Rücken wälzen wie eine rollige Katze.
»Au, was soll das? Du brichst mir noch die Finger!«
Jermyn hatte sich umgedreht und sah sie überrascht an.
»Was hast du denn? Immer noch Angst? Ich sag doch, ich weiß, was ich tue.«
Sie hatte seine Hand zu fest gedrückt und er glaubte, sie wolle ihn davon abhalten, in fremde Taschen zu greifen. Hastig ließ sie ihn los, inbrünstig hoffend, dass er ihr glühendes Gesicht auf die Hitze schieben würde. Beinah nahm sie es ihm übel, dass sie seinetwegen außer sich geriet.
Zu ihrer Erleichterung entstand jetzt ganz in ihrer Nähe beträchtliche Unruhe. Die Leute begannen zu schreien und eine empörte Stimme übertönte den Lärm:
»Haltet den Dieb! Der Schuft ... haltet ihn fest, er hat meine Börse!«
Jermyn warf sich rücksichtslos ins Getümmel und Ninian folgte ihm. Ein Mann kam ihnen entgegen, verzweifelt mit den Armen rudernd. Zwei Männer mit blauroten Schärpen bahnten sich mit kräftigen Stößen einen Weg hinter ihm her. Immer langsamer kam der Flüchtende voran, bis er zwischen den dicht stehenden Leibern steckenblieb wie in zähem Morast. Sein Gesicht war eine Fratze des Entsetzens.
Einer seiner Verfolger, ein bulliger Kerl mit schwarzem Kinnbart, packte ihn grob am Kragen, während sein kleinerer Gefährte die Menge mit seinem Stock zurücktrieb. Der Gefangene schien einer Ohnmacht nahe. Er hielt seinen schäbigen, langen Rock fest um sich gewickelt und seine Blicke irrten angstvoll über die neugierigen, schadenfrohen Gesichter.
»Lasst mich gehn«, krächzte er, »des is ein Irrtum, ein Irrtum, ich hab den gnäd'gen Herrn doch nur angerempelt.«
Der Bestohlene war herangekommen und stürzte sich auf den greinenden Dieb.
»So ein Schuft – von wegen, nur angerempelt! Ich hab deine diebischen Pfoten in meiner Tasche gespürt, du Lump! Wir werden's ja sehen!«
Er zerrte ungeduldig an dem schwarzen Rock, aber die Wächter stießen ihn zurück.
»Pfoten weg, Dummkopf«, bellte der Bärtige. »Des machen wir! Wie sieht deine Börse aus?«
Der Mann schluckte.
»Mit Verlaub, sie ist aus brauner Seide, doppelt genäht und rot gefüttert, etwas verschossen schon. Und drin waren sieben Silbermünzen und etwas Kupfergeld, ich wollt's mir heut gut gehen lassen.«
»Ha, zu die gefälligen Damen wollt er. Essen und Trinken sin doch frei«, rief ein Spaßvogel und alle, die in Hörweite standen, brachen in schallendes Gelächter aus. Der Verspottete lief rot an.
»Nein, nein, wo denkt ihr hin!«
Die Wächter durchsuchten den Beschuldigten und fanden ein Dutzend Taschen in die Innenseite seines Rocks genäht, in denen sich schon
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