AvaNinian – Erstes Buch (German Edition)
nicht.
»Sie trifft sich heimlich mit einem der anderen Schüler, einem jungen Mann mit wenig einnehmendem Wesen und übler Vergangenheit. Er stammt aus Dea und wir haben ihn hergebracht, da er starke Gedankenkräfte hat, die wir kontrollieren müssen. Er hat sich nur schlecht hier eingelebt und keine Freundschaften geschlossen. Vor einiger Zeit merkte ich, dass Lady Ava und er sich in einem alten Turm treffen, der nicht mehr benutzt wird. Und zwar immer nur nachts.«
Auch der Fürst war ernst geworden.
»Habt Ihr herausgefunden, was sie dort tun?«
»Sie klettern, was nicht ungefährlich ist, das Gemäuer ist baufällig. Der junge Mann hat sich seinen Lebensunterhalt in Dea als Fassadenkletterer verdient, wenn Ihr versteht, was ich meine. Ich habe ihn einmal eine Mauer hinaufsteigen sehen, er ist außerordentlich gewandt.«
Vater Dermot konnte seine Bewunderung nicht ganz unterdrücken und der Fürst nickte erleichtert.
»Das wäre allerdings ein Grund. Ava klettert gerne. Wie Ihr wisst, ist Tillholde mit reichlich Bergen und Felsen gesegnet, mein Freund, schon als kleines Mädchen war ihr der gerade Weg zu langweilig. Wenn es nicht mehr als ein Kräftemessen ist, will ich mir keine Sorgen machen. Ihr sagt, der junge Mann kommt aus schlechten Verhältnissen?«
»Aus den denkbar schlechtesten. Ich habe ihn in den verrufensten Gassen Deas gefunden, er war schon einem der Patrone in die Hände gefallen, in dessen Diensten seine Kräfte Furchtbares angerichtet hätten.«
»So? Aber Ava kann sich wehren. Sie wird eines Tages ein Land regieren und häufiger mit schlechten Menschen zu tun haben, als ihr lieb ist. Sie muss lernen, mit ihnen umzugehen, ohne von ihnen befleckt zu werden. Davor können wir sie nicht bewahren. Ist ihre Ausbildung abgeschlossen?«
Vater Dermot breitete die Arme aus.
»Wir konnten ihr sowieso nicht viel beibringen, es bleibt ein Wunder und ein Rätsel, was sie vermag. Sie wird bald die Bewegungen der Erde beherrschen und bei einem Beben die Erdmassen beruhigen können. Aber noch hat sie die letzten Prüfungen nicht bestanden.«
Der Fürst erhob sich.
»Das entscheidet die Sache. Das Volk leidet unter den Beben und Erdrutschen. Wenn es eine Herrscherin hat, die dem Einhalt gebieten kann, wäre es ein großer Segen. Ava wird bleiben, es sei denn, sie äußert selbst den Wunsch zu gehen. Ich sagte schon, dass ich sie zu nichts zwingen kann noch will. Vertraut ihr, sie ist ein vernünftiges Mädchen. Und nun entschuldigt mich, guter Vater.«
Das vernünftige Mädchen hockte ratlos auf dem Bett in der Gästekammer ihrer Mutter. Immer war sie nahe daran, von ihren Zweifeln zu erzählen und sie um Rat zu bitten, aber die Worte verdrehten sich in ihrem Mund. Sie fragte nach den Tanten, nach dem Stand der Staatsgeschäfte, nach diesem und jenem guten Bekannten, doch wenn die Mutter antwortete, hörte sie nicht hin.
Die Fürstin erzählte eifrig, während sie ihre Reisetruhe auspackte.
»Die Weberschule wächst. Wir überlegen, die großen Webstühle für die Wandteppiche in die Ahnenhalle zu stellen. Die alten Wandbehänge müssten einmal weg, sie sind so verblichen und zerschlissen, man erkennt schon lange nicht mehr, was darauf abgebildet ist. Einige Mädchen sind so geschickt, dass ich ihnen durchaus zutraue, neue Teppiche zu fertigen. Das wäre eine schöne Aufgabe, nicht wahr?«
Diesmal schweiften Avas Gedanken nicht ab. Erschrocken sprang sie auf. »Nein, Mutter, ihr dürft nichts verändern in der alten Halle. Schon gar nicht die Teppiche, die dürft ihr nicht anrühren.«
Die kleine Tür und die Treppe dahinter mussten verborgen bleiben. Wenn immerzu Kommen und Gehen in dem verlassenen, alten Saal herrschte, würde sie ihr Geheimnis nicht mehr lange wahren können.
Die Mutter sah sie erstaunt an.
»Du gebärdest dich wie Eyra und Lalun, Kind. Nur wegen ihres Einspruchs haben wir noch nichts unternommen. Wir hatten eigentlich gehofft, du würdest uns helfen, sie zu überreden. Selbst Lalun, die doch sonst gegen alles Alte ist, bleibt fest bei ihrer Ablehnung.«
Ava war insgeheim erleichtert – solange die beiden mächtigen Tanten gegen die Sache waren, musste sie sich keine Sorgen machen.
»Ach, Mutter«, bettelte sie, »wir haben doch genug Räume im Schloss, die du mit neuen Teppichen ausstatten kannst. Immerhin ist die große Halle der älteste Teil, lass ihn so wie er ist, den Tanten zuliebe. Und ich will nicht, dass etwas verändert wird, bevor ich heimkomme.«
Ihr
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