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AvaNinian – Zweites Buch

AvaNinian – Zweites Buch

Titel: AvaNinian – Zweites Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ina Norman
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strebe aus der Dunkelheit ins Licht, aus den schwarzen Abgründen hebe er sein Haupt zu den Sternen! Der Tempel ist geschlossen!«
    Während er sprach, wich er mit seiner Priesterschaft durch den schmaler werdenden Spalt des riesigen Tores zurück und als das letzte Wort verklungen war, schlugen die Flügel vor seiner goldschimmernden Gestalt mit dem Dröhnen einer Bronzeglocke zusammen. Die Menge nahm den Ton auf, er schwoll vom tiefen, erwartungsvollen Summen zu einem gewaltigen Brausen, als werfe sich das Meer in einer schwarzen Sturmnacht gegen die Küste.
    Wie immer war Duquesne beeindruckt von der Genauigkeit, mit der die Priester den Augenblick der Schließung zelebrierten. Er glaubte nicht an die Herrschaft der Götter und sah in den Priestern nichts anderes als geschickte Scharlatane, aber sie verstanden es, die Massen in Bann zu schlagen.
    Der ehrfurchtgebietende Anblick des Hohen Priesters, seine feierlich mahnenden Worte hatten die Menschen auf dem Platz in andächtige Stimmung versetzt. Nur langsam kam Bewegung in die vielköpfige Menge und Duquesne nutzte den Augenblick, winkte Thybalt und trieb den schwarzen Hengst durch die offene Gasse. Seine Wachleute schlossen sich an und marschierten eilig hinter ihm her. Zwar ertönten einzelne Spottrufe aus der Menge, aber noch wirkte Duquesnes Autorität und hielt sie ruhig. Einmütig strebte man zum Patriarchenpalast, denn auch der Patriarch verstand es zu zelebrieren, und obwohl viel jünger als die uralte, geheiligte Tempelschließung, war die Zeremonie nicht weniger beeindruckend. Und das Volk liebte eindrucksvolle Schauspiele.
    Das Volk - man musste es führen und leiten wie eine Horde unmündiger Kinder, nein, wie eine Herde Rinder, die aus gutmütiger Dumpfheit urplötzlich in todbringende Raserei verfallen konnte. Sie musste in Angst und Furcht gehalten werden, diese Bestie, in die sich die Bewohner Deas zu Zeiten verwandelten. Und dazu brauchte man eine starke Hand und einen wachen Verstand.
    Duquesne lenkte sein Pferd durch die zielstrebig vorwärtseilende Menge und hörte, wie Thybalt hinter ihm einen höhnischen Zuruf mit einem derben Scherz beantwortete.
    Gut, wenn man das konnte: Auch der Patriarch besaß die Gabe, die Bestie zu erheitern und bei guter Laune zu halten. Ihm selbst fehlte sie, es war ihm nicht gegeben, eine gefährliche Lage mit einem lockeren Wort zu entspannen, ihn fürchteten die Leute und es war ihm recht so. Er wollte die Bestie zähmen, wollte aus dem reißenden Wolf einen zahmen, gehorsamen Hund machen, der seinem Herrn in furchtsamer Treue ergeben ist. Dafür musste der Hund die Gesetze des Herrn blind befolgen und seine Hoheit uneingeschränkt anerkennen. Zeiten, in denen die Gesetze aufgehoben und die Herrschaft ausgesetzt waren, gefährdeten die Ordnung.
    Die wilde Zügellosigkeit, die völlige Umkehrung aller Gewalten in den Wilden Nächten befreiten den Hund von seiner Kette und verwandelten ihn zurück in die Bestie. Als der Ehrenwerte Castlerea bei der ersten Ratssitzung nach den Bränden im vorigen Jahr vorgeschlagen hatte, die Wilden Nächte zu verbieten, hatte Duquesne eine seltene Anwandlung von Achtung für den alten Herrn empfunden, aber er war mit seiner heimlichen Zustimmung allein geblieben. Der Patriarch hatte den Vorschlag ungeduldig abgelehnt.
    »Ihr wisst nichts von den Gefühlen der einfachen Leute, Castlerea. Das Volk muss sich austoben, einmal im Jahr muss es auf die, die es beherrschen, ungestraft herabblicken können, sonst bricht seine Unzufriedenheit hervor wie ein Gewittersturm und fegt uns hinweg«, hatte er nüchtern gesagt und Duquesne wusste, dass er recht hatte. Aber es wäre gut, wenn man diesen erlaubten Ausbruch noch besser kontrollieren könnte, etwa durch eine Erneuerung der Gladiatorenkämpfe und Tierhatzen im Alten Zirkus, von denen der Patriarch in letzter Zeit schwärmte, ein Plan, dem Duquesnes volle Unterstützung galt.
    Jetzt kam die dunkle Masse in Sicht, die sich unter dem brütenden Himmel duckte - der Patriarchenpalast.
    Seit Tagen war es in den Amtsstuben im linken Flügel zugegangen wie auf einem Jahrmarkt. Musikanten, Gauklertruppen, Tierbändiger, die Vertreter der Gilden, die ihre Umzüge anmeldeten, Wahrsager, fahrende Quacksalber - alle fanden sich ein und entrichteten ihren Obolus. Es war einer der vielen Einfälle des Kämmerers, um die Stadtkassen zu füllen: Jeder Fahrende, der unter freiem Himmel etwas verkaufte oder darbot, musste einen Erlaubnisschein mit dem

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