AvaNinian – Zweites Buch
ganz besitzen.
Er wusste schon lange, dass sich in diesem ekstatischen Tanz der Geist leichter aus dem Körper löste. Man stampfte sich buchstäblich die Seele aus dem Leib.
Wenn er sich, vor seiner Zeit im Haus der Weisen, in den rechten Rausch gebracht hatte, war er, frei über der Menge schwebend, in ihre trunkenen Gemüter geschlüpft. Er hatte ihre Gedanken, Begierden und Wünsche erkannt, hätte sie nach seinem Willen lenken können, ohne dass ihn Kopfschmerzen und Übelkeit geplagt hatten. Nur ein gut geschulter Geist mit starkem Willen vermochte sich dem Sog der Menge und der Trommeln entziehen.
Darauf hatte er gehofft: Im Taumel des Tanzes würde sich Ninians inneres Wesen öffnen. Alle Grenzen zwischen ihnen würden fallen, er konnte ganz von ihr Besitz ergreifen, sich nicht nur in ihren Schoß, sondern in die verborgensten Winkel ihres Wesens ergießen. Auch er musste dafür alle Schranken senken und die Begegnung würde nicht ohne Schrecken für sie sein - es gab tiefe Abgründe in seiner Seele. Aber das nahm er in Kauf. Wenn er sie so besessen hatte, trug sie ihn im Blut. Sie würde nicht mehr von ihm loskommen und er musste nicht mehr fürchten, sie zu verlieren ...
Der Augenblick war nahe; seine Brust wurde zu eng für die harten Stöße seines Herzens, die Begierde in ihrem blassen, süßen Gesicht trieb ihn zur Raserei. Er sah auch die Angst, aber es war wie auf dem Turm am Tag der Hochzeit - sie würde sich nicht mehr wehren.
Als die erregte Menge sie das nächste Mal gegen ihn drängte und er ihre Brüste kühl und hart an seiner nackten Haut fühlte, packte er sie unter den Armen und stemmte sie hoch.
Sie schluchzte auf, aber er hatte richtig gespielt - sie schlang die Beine um ihn und presste sich mit solcher Hingabe an ihn, dass er sich fast zu früh verlor. Er spürte sie an jeder Stelle seines Körpers, mit einer süßen Pein, als ob seine Haut brannte. Tief grub er seine Finger in ihre Achselhöhlen und als sie schrie, füllte er ihren Mund. Regen rann in den gierigen Kuss, verzischte in ihrer Glut, als er die Scheide zu ihrem Wesen überschritt. Die Trommeln jagten, dröhnten, wirbelten ...
Mit markerschütterndem Knall zerplatzte etwas neben Ninians Ohr, brennender Schmerz durchfuhr ihren Nacken und riss sie aus der goldenen Höhe zurück in die tobende Menge unter dem kalten Himmel. Ein zweiter Schlag ließ sie aufschreien; auch Jermyn schrie, sie verloren das Gleichgewicht, brachen auseinander und wären um ein Haar zu Boden gegangen.
Ninian würgte, der Absturz war so jäh, dass ihr schwindelte. Einen Moment lang verschwamm alles vor ihren Augen und sie blinzelte, um wieder klare Sicht zu bekommen.
Jermyns Gesicht war grau, er schluckte krampfhaft. Aus der Menge tönten laute Schreie, doch die Menschen schrien nicht mehr vor Lust, sondern vor Angst und Schmerz.
»Masken! Masken«, brüllte eine überschnappende Stimme, »rettet euch! Die Meute jagt!«
Jermyn fluchte lästerlich und Ninian sah ...
Wie aus dem Nichts erschienen sie und ihre Zahl wuchs mit unheimlicher Schnelligkeit. Sie quollen aus den Fenstern der Häuser, ließen sich an den Mauern herab auf die Köpfe und Schultern der dichtgedrängten Tanzenden, riesenhafte Gestalten, schwarz von Kopf bis Fuß, umflattert von weiten Umhängen. Weiße Masken mit grotesk vorspringender Nase verbargen ihre Gesichter und leere Augenhöhlen starrten mitleidlos über das Entsetzen, das sie verbreiteten.
Wieder knallte es, der Mann neben Jermyn brüllte und schlug die Hände vor die Stirn. Zwischen seinen Fingern sickerte Blut. Die Maskierten hieben wahllos mit schweren Peitschen auf die Menge ein, riesige, silberglänzende Sporen rissen tiefe Wunden in die Schultern, über die sie hinwegsetzten.
»Masken, Masken«, gellten die Schreie.
»Holt sie doch runter, ihr Memmen, holt sie runter!«, erhob sich eine einzelne, zornige Stimme, über den Tumult, doch sie verhallte ungehört. Dann kreischte eine Frau, hoch und schrill in wahnwitzigem Schrecken. Ninian sprang hoch, um besser sehen zu können.
»Hier, steig auf ...«
Sie setzte ihren Fuß in Jermyns verschränkte Hände und stützte sich auf seine Schulter.
Zwei Maskierte hatten eine junge Frau bis zu den Hüften aus der Menge gezerrt. Ihre Schreie hallten von den Häusern wider.
»Sie haben ein Mädchen, sie schleppen es weg!«
Die Frau wand sich und schrie, die Umstehenden versuchten sie festzuhalten, aber die Masken prügelten auf ihre Köpfe ein. Von allen Seiten
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