AvaNinian – Zweites Buch
die gemessenen Reigen, mit denen der Tanz begonnen hatte, war immer ein Tänzer bei der Hand, sogar der junge Herr Donovan hatte mit ihr getanzt. Sie hatte es genossen und sich gewundert, wie einfach es war, mit ihm zu plaudern.
Aber die Tänze wurden wilder, die Herren wählten immer häufiger Mädchen aus dem Volk und als zuletzt das geheimnisvolle weiße Fräulein aufgetaucht war, hatte sich für Violetta kein Kavalier mehr gefunden. Selbst einen aufzufordern, wagte sie nicht und so hatte sie abseits gestanden, ausgeschlossen und unglücklich. Ihr Jammer war nicht aufgefallen. Die Fürstin hatte nur Augen für ihren Galan und Margeau hatte kein Lächeln, keinen Blick für Violetta übrig gehabt.
Erst am Schluss war es besser geworden. Selbst jetzt wurde ihr warm ums Herz, als sie an den freundlichen Edelmann dachte. Jung war er nicht gewesen und sie hatte ihn nicht beachtet, aber er hatte sie aus ihrer peinlichen Einsamkeit erlöst und ihr sein Pfand zu Füßen gelegt. Als er ihr seine Begleitung anbot, hatte es ihr zu ihrer Überraschung leid getan, sie abzulehnen. Verstohlen tastete sie unter dem Umhang nach seinem Geschenk, die seidene Rosette knisterte tröstlich zwischen ihren Fingern.
Gleich darauf wich sie mit einem leisen Aufschrei zurück. Eine Hand war unter ihre Kapuze gefahren und drückte ihr den Daumen unsanft gegen die Stirn.
»Willst du in den Dienst der Großen Göttin, der Kalivaga eintreten, ihr huldigen und opfern, jetzt und immerdar?«
Die Stimme klang barsch und Violetta blieben die Worte im Halse stecken.
»Träum nicht«, flüsterte ihre Nachbarin ungehalten, »du hältst alles auf. Antworte rasch!«
»J...Ja, ddas w...will ich«, stotterte Violetta. Von einer ungeduldigen Hand gestoßen stolperte sie auf das in den Stein gemeißelte Bild zu. Im Schein der Fackeln konnte sie eine nackte, weibliche Gestalt erkennen. Jede Einzelheit war sorgfältig aus dem Stein gehauen, obszön und barbarisch. Beschämt wandte Violetta den Blick ab.
Etwas rann kühl an ihrer Nase entlang. Sie griff an ihre Stirn und fand ihre Finger von einer klebrigen, braunroten Masse verschmiert. Der Schrei in ihrer Kehle kam als ersticktes Gurgeln heraus und ihre Nachbarin zischte:
»Reiß dich zusammen, alle Neulinge werden so gezeichnet.«
Die Priesterin zur Rechten des Bildes hielt einen kleinen Tiegel und zeichnete jede Frau, die einen weißen Umhang trug, aber das beruhigte Violetta nicht. Heiße, salzige Schwaden legten sich ihr betäubend auf die enggeschnürte Brust, raubten ihr den Atem. Die Sinne mussten ihr schwinden - das scheußliche Weib auf der Wand bewegte sich!
Das Medaillon schwang zur Seite, ein Schwall rauchgeschwängerter Luft quoll heraus. Lautes, schwirrendes Rasseln, auf- und abschwellender vielstimmiger Gesang füllte ihre Ohren. Ringe pressten sich schmerzhaft in ihre Finger, eine Hand zerrte sie vorwärts und hilflos wurde sie mit den anderen in eine gewaltige Höhle geschwemmt.
Fackeln brannten an den Wänden, an massigen, schmucklosen Säulen, aber ihr Licht reichte nicht bis zum Scheitel des Gewölbes. In undurchdringlicher Finsternis verschwand es über den Köpfen der Versammelten.
Violettas Knie gaben nach, aber die nachdrängenden Frauen schoben sie und die anderen Neulinge vor sich her, bis sie am Rande einer weiten Mulde standen. Und dann vergaß sie beinahe das Entsetzen vor der Größe des Anblicks, der sich ihr darbot.
»Muss dich sehr gefuchst haben, dass du sie nich mitbringen konntest, was? Wer macht denn jetzt die Drecksarbeit für dich, he? Oder haste sie am Ende sogar reingeschmuggelt? Läuft wie’n Kerl rum, das kleine Luder. Vielleicht stehste ja auf die Männerkleidung, he, Weichei? In der richtigen Gesellschaft biste ja, da is ja unser sogenannter Meisterringer und sein liebliches Schätzchen!«
Der Sprecher lehnte am Ausschank, er hatte sich umgedreht und redete zur ganzen Schenke. Seine Nase war geschwollen. Er zog Rotz hoch und spuckte aus. Klatschend landete das schleimige Geschoss vor Jermyns Füßen. Der Hüne hatte die Fäuste sinken lassen und sah verblüfft von einem zum anderen.
Das Gesicht unter den roten Haaren war weiß geworden, der stechende Glanz in den schwarzen Augen bereitete ihm Unbehagen, aber Jermyn achtete nicht mehr auf ihn. Er hatte die Hände aus den Hosentaschen genommen und trat einen Schritt auf den anderen zu. Abwehrend spreizte der Mann die Hände.
»Hu, helft mir«, höhnte er, »jetzt kommt er und schaut mich mit
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