Avanti Amore - mein Sommer unter Italienern
Herrenhüte in Weiß und Schwarz, modische Kappen und ein elegantes, aber schlichtes Modell für Frauen zieren die Auslage. Auf dem obersten Brett eines Regals im hinteren Teil des Ladens steht eine große beerenfarbene Hutschachtel, die mit einem goldenen Wappen bedruckt ist. Ein Karton, der sich auf den Dielen meiner Berliner Altbauwohnung fantastisch machen würde. Im Inneren des Ladens ist noch Licht, aber die Tür ist verschlossen, denn das Geschäft hat nur bis mittags geöffnet. Als ich einen Verkäufer entdecke, der gerade ein paar Schachteln in das Regal räumt, lächele ich ihn an und lege bittend die Hände zusammen. Eine Geste, die ich mir vom Rezeptionisten meines Hotels abgeschaut habe und die offensichtlich Wirkung zeigt. Schon nach drei Tagen in Italien ist mir klar: Ohne die richtige Gestik kommt man hier nicht weit, denn bei Italienern läuft ein Großteil der Kommunikation auf der nonverbalen Ebene. Wer dem, was er sagen will, Ausdruck verleihen möchte, darf hier auf Zeichensprache nicht verzichten. Und es funktioniert! Der Verkäufer erwidert mein Lächeln und kommt an die Tür, um sie aufzuschließen.
»Bongiorno«, begrüßt mich der schlaksige Herr freundlich.
» Bongiorno , entschuldigen Sie die Störung, aber ich habe diese Hutschachtel dort oben gesehen, die muss ich unbedingt haben. Ist sie zu verkaufen?«
»Die Schachtel gehört eigentlich zu einem ganz bestimmten Hut«, antwortet er und winkt mich herein. »Schauen Sie sich doch einfach mal um.«
»Ist das in Ordnung, Sie haben doch eigentlich schon geschlossen?«
»Also bitte signora , ich werde doch eine so hübsche Dame wie Sie nicht vor der Tür stehen lassen!« Dann hebt er die Schachel aus dem Regal und stellt sie auf dem Tresen vor mir ab. »Das ist ein Herrenmodell, handgefertigt, allerdings nicht aus italienischem, sondern aus englischem Stoff. Verraten Sie es niemandem, aber die Briten sind uns, was Textilfasern angeht, meiner Meinung nach eine Nasenlänge voraus. Leider hat Qualität auch immer ihren Preis, das gute Stück kostet 467 Euro, das klingt teuer, dieser außergewöhnliche Hut ist es aber wert.« Vorsichtig streiche ich über den Stoff.
»Tragen denn so viele Italiener Hüte?«
»Aber ja. Wissen Sie, das hier ist das älteste Hutgeschäft der Stadt. Natürlich gab es auch eine Zeit, in der wir ein wenig kämpfen mussten, weil Kopfbedeckungen einfach nicht mehr so im Trend waren. Mittlerweile tragen die Männer aber wieder viel mehr Hüte. Und ...«, er geht zu einem Regal hinüber, in dem sich kleinere Modelle stapeln, und nimmt einen grauen Hut mit Nadelstreifen in die Hand, »... immer mehr Frauen tragen Herrenhüte. Dieser hier würde Ihnen ausgezeichnet stehen.« Er lächelt mich an und reicht mir den cappello .
»Meinen Sie wirklich? Bislang habe ich höchstens im Sommer mal einen Strohhut getragen.« Das Modell auf dem Kopf, betrachte ich mich im Spiegel. Der Hut passt gut zu meinem neuen Sakko.
»Ich nehme ihn«, sage ich und füge hinzu: »Wenn er nicht zu teuer ist.« Dann blicke noch mal sehnsüchtig auf die große beerenfarbene Hutschachtel. Der Verkäufer folgt meinem Blick, öffnet das Objekt meiner Begierde, hebt den teuren Herrenhut heraus und legt ihn vorsichtig neben sich auf den Verkaufstresen.
»Da Sie offensichtlich so vernarrt in diese Schachtel sind, gebe ich Sie ihnen dazu, auch wenn sie eigentlich nicht zu diesem Hut gehört. Ich mag es, wenn Menschen sich für so kleine Dinge begeistern können.«
»Wirklich? Sie haben mir den Tag verschönt! Vielen Dank!«
Con piacere! Gern! Sie haben Glück, der Hut ist reduziert, das macht dann vierundsechzig Euro bitte.« Während der Verkäufer mein Geld entgegennimmt und Hut und Karton in eine große Tüte packt, blicke ich durch das Schaufenster hinüber zur Zucca-Bar. Sie ist schon gut gefüllt, ich sehe Raffaele hektisch hinter dem Tresen hantieren. Abgesehen von seinen bissigen Kommentaren war er ja eigentlich ganz nett, und vielleicht hat er auch nur eine etwas verquere Art, sein Interesse zu zeigen. Ich beschließe, ihm eine zweite Chance zu geben und auf ein Abschiedsgetränk bei ihm einzukehren.
»Ciao!«, begrüße ich Raffaele und lehne mich an den Tresen. Als er mich entdeckt, erhellt sich sein Gesicht.
» Ciao . Wie schön, dass wir uns noch mal sehen. Was möchtest du trinken?« Ich blicke mich um. Es ist gerade mal kurz vor vier, trotzdem scheinen die Italiener dem Alkohol schon um diese frühe Zeit zuzusprechen. Fast alle
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