Avanti Amore - mein Sommer unter Italienern
der umstehenden Gäste halten Spritzgläser in der Hand. Andere Länder, andere Sitten, denke ich und beschließe, mich anzupassen.
»Ich nehme einen Campari-Spritz, bitte.«
»Mache ich dir sofort. Ich hab schon gedacht, du kommst nicht mehr wieder ...«, antwortet er etwas unsicher, während er hektisch die leeren Gläser vom Tresen räumt.
»Wieso?«
»Ach, irgendwie bist du so plötzlich verschwunden. Ich hoffe, du hast nichts in den falschen Hals bekommen. Das, was ich gesagt habe, war wirklich nicht böse gemeint. Ich interessiere mich doch für dich. Wenn ich Menschen nicht mag, ignoriere ich sie einfach. Allerdings merken sie es meistens nicht einmal.« Er lacht. Offenbar ist Raffaele aufgefallen, dass ich ein bisschen sauer war. Obwohl ich nicht nachtragend sein will, kann ich es nicht lassen, ihm eine kleine Spitze zu verpassen.
»Ach, ich freu mich immer, wenn mich jemand deutlich darauf aufmerksam macht, dass ich schlecht gestylt bin«, entgegne ich.
So war das doch gar nicht gemeint.« Raffaeles Blick ist schuldbewusst. »Weißt du was? Den Campari-Spritz gebe ich dir aus. Als Entschuldigung.« Er lächelt mich schief an und versucht ganz offensichtlich, bella figura zu machen.
»Entschuldigung angenommen. Schon in Ordnung.« Er füllt ein Glas, stellt es ab und ich proste ihm zu. Gerade als ich die Unterhaltung fortführen will, ruft ein Kunde vom Ende der Bar lauthals etwas zu uns herüber.
» Scusi! Werde ich hier auch irgendwann mal bedient?« Raffaele blickt mich entschuldigend an.
»Tut mir leid, mein Kollege ist krank, und hier ist die Hölle los. Ich bin heute ganz alleine und kann mich daher nicht so um dich kümmern, wie ich es gern würde.« Mittlerweile drängen sich die Gäste am Tresen. Raffaele, der eifrig hin und her rennt, gerät deutlich ins Schwitzen. Auf der Ablage sammeln sich nach und nach immer mehr leere Gläser an. Ich starre auf die leeren Snackschalen vor mir. Obwohl Raffaele sich alle Mühe gibt, kommt er nicht damit hinterher, die Schälchen aufzufüllen und alle Getränke zu mixen. Der Arme ist völlig überfordert. Aus einem Impuls heraus trete ich ungefragt hinter die Bar und rufe ihm zu:
»Sag mir, wie ich dir helfen kann. Ich hab schon mal in der Gastronomie gearbeitet.«
»Also bitte. Ich schaffe das schon«, wehrt er ab und schnappt sich hie und da ein leeres Glas, nur um es zwei Meter weiter neben der Spüle abzustellen, wo es ihm fast von der vollen Ablage rutscht.
»Aber ich habe doch eh nichts zu tun, ich kann dir doch helfen«, biete ich ihm erneut an.
» Bella , du bist mein Gast!«, antwortet er, während er gleichzeitig die Bestellung von zwei Frauen notiert, die gerade an den Tresen getreten sind. Offensichtlich gehört es auch zur bella figura , so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung, obwohl manilfe braucht. Lieber mit Stil und Würde untergehen, als Schwäche zeigen und sich helfen lassen. Typisch Mann!
»Aber du würdest auch mir damit einen Gefallen tun, schließlich möchte ich mehr über die Italiener erfahren, und hier bin ich doch mittendrin. Also bitte, sag ja.«
»Na gut«, brummt Raffaele. Und ich klopfe mir innerlich selbst dafür auf die Schulter, ihn so ausgetrickst zu haben. Wenn es um ihren Stolz geht, sind die deutschen und die italienischen Männer offensichtlich doch nicht so verschieden. Bevor er es sich anders überlegt, trete ich an die Spüle, greife nach ein paar Gläsern, von denen mir prompt eines aus der Hand rutscht. Es zerschellt auf dem Boden. Raffaele zieht süffisant die Augenbrauen hoch und blickt mich skeptisch an.
»Gastronomieerfahrung?« Dann lacht er, ignoriert die Scherben auf dem Boden und kümmert sich weiter um seine Gäste. Scheinbar fühlt er sich jetzt nicht mehr in seiner Männlichkeit bedroht. Schnell kehre ich die Scherben zusammen und beginne, dreckige Gläser zu spülen, Orangen zu schneiden, die Schüsseln mit Oliven und Chips aufzufüllen und ab und an den Tresen abzuwischen. Einer der Gäste, ein gut gekleideter Italiener, beobachtet mich aufmerksam. Er trägt einen grauen Anzug, darunter ein blau-weiß gestreiftes Hemd und eine dunkelblaue Krawatte. Sein typischer kurzer Männerhaarschnitt ist etwas verwuschelt, und die schlichte Nickelbrille auf der Nase gibt ihm etwas leicht Verhuschtes. Er sieht ein bisschen aus wie ein junger Professor.
»Sind Sie neu hier?«, fragt er mich. »Ich habe Sie noch nie in dieser Bar arbeiten sehen. Aber Sie machen Ihren Job ziemlich gut.«
»Finden
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