Avanti Amore - mein Sommer unter Italienern
»Eigentlich kenne ich Genua wirklich gut. Aber in diesem Teil der Stadt bin ich praktisch nie. Ich wohne ja außerhalb und bin meistens bei meinen Pferden oder auf dem Golfplatz.« Er scheint eine gute Partie zu sein. Und anders als Fidelio entspricht er ziemlich genau dem Prototyp des italienischen Machos. Während ich weiter hinter Roberto herlaufe, schaue ich mich aufmerksam um. Von den Genueser Prachtbauten, die Fidelio morgens beim Frühstück angepriesen und die mir sein Cousin im Schnelldurchlauf gezeigt hat, ist in diesem Teil der Stadt definitiv nichts zu sehen. Stattdessen laufen wir an einer unscheinbaren Kirche vorbei, vor der Roberto unvermittelt stehen bleibt.
»Das hier ist eine ganz besondere chiesa .« Er dreht sich zu mirm. »Wer diese Kirche betritt, wird von all seinen Sünden befreit.«
Ich schaue Roberto ungläubig an. »Du meinst, wer in dieser Kirche die Beichte ablegt?«
»Nein, man muss hier nicht beichten. Es reicht, durch das Portal ins Innere der Kirche zu laufen, und schon ist man von allem Bösen gereinigt, das in der Vergangenheit an einem gehaftet hat.« Wie zum Beweis nimmt Roberto zwei Treppenstufen auf einmal und macht einen Schritt ins Innere der Kirche. Ich muss mich bemühen, nicht laut zu lachen, und denke an das Gespräch, dass ich mit Fidelio darüber geführt habe, dass Berlusconi während seiner Amtszeit einfach die Gesetze geändert hat, wenn sie seinem Vorhaben zuwiderliefen. Irgendwie scheint auch diese Kirche in das Konzept des Lebens unter dem Motto des geringsten Widerstandes zu passen. Ich verkneife mir einen spöttischen Spruch und folge Roberto. Im Inneren der Kirche ist es kühl und dunkel. In der Nähe des Altars kniet eine ältere Dame in einer Bank. Den Kopf gesenkt, die Hände gefaltet, ist sie in ein Gebet versunken. Von welcher Sünde sie wohl reingewaschen werden möchte? Wir verlassen die chiesa und irren weiter durch die Straßen. Gerade als ich kurz davor bin, jegliche Rücksicht auf Robertos Ehrgefühl fahren zu lassen und nach dem Weg zu fragen, gelangen wir wie durch ein Wunder tatsächlich auf einen Platz, auf dem wir während unseres Irrgangs nicht schon dreimal gewesen sind, den Roberto aber zu kennen scheint. Er steuert zielstrebig auf ein Café an der Längsseite des campo zu, schiebt mir den Stuhl zurecht, setzt sich und verstaut seine langen Beine unter dem Tisch.
»So, meine Liebe, che cosa prendi ? Was nimmst du? Ich trinke einen Weißwein.« Er lehnt sich, offensichtlich zufrieden mit seinen Künsten als Stadtführer, zurück. Ich blättere durch die Speisekarte, kann mich aber nicht sofort entscheiden.
»Einen latte macchiato «, sage ich zögerlich und denke an die Mailänder Raststätte, wo ich bei meiner Bestellung fast des Lanes verwiesen worden wäre. Vorsichtig schaue ich Roberto an, der mich mit steinerner Miene mustert.
»Was trinkst du?« wiederholt er, als hätte er mich nicht gehört.
»Latte macchiato«, sage ich, schon etwas weniger bestimmt.
»Du kannst keinen latte macchiato trinken. Nicht um diese Uhrzeit.« Robertos Tonfall ist unerbittlich. Ich könnte jetzt nachgeben und einen Wein bestellen. Aber wie das nun einmal mit den verbotenen Dingen ist, entwickelt man auf unerklärliche Weise eine unbändige Sehnsucht nach ihnen. Ich habe das Gefühl – noch nie in meinem Leben so große Lust auf einen latte macchiato verspürt zu haben wie in diesem Moment, und beschließe, mich den italienischen Gepflogenheiten anzupassen, mich kompromissbereit zu zeigen und gleichzeitig über den Weg durch die Hintertür meinen Willen durchzusetzen.
»Ein cappuccino? «, versuche ich zu feilschen, aber ich weiß schon, wie Robertos Antwort ausfallen wird.
»Nein.« Er klingt streng. »Bestenfalls einen caffè , oder espresso, wie er bei euch heißt. Den kannst du haben.« Ich fühle mich wie ein kleines Kind, das von seinem Vater die Süßigkeiten verboten bekommt. Mein Kampfgeist ist geweckt. Ich mochte es noch nie, bevormundet zu werden.
»Ich komme gleich wieder«, sage ich und verschwinde ins Café, wo ich mir am Tresen einen cappuccino bestelle, den vorwurfsvollen Blick des barista ignorierend, dann schnell die Toiletten aufsuche und auf dem Rückweg still und heimlich die heiße Flüssigkeit in mich hineinkippe. Ganz ohne schlechtes Gewissen. Ich kann ja später noch einmal in die Kirche zurückgehen und mir diese Sünde offiziell vergeben lassen. Schnell zahle ich und kehre zu Roberto zurück.
»Und, hast du dich
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