Avanti Amore - mein Sommer unter Italienern
Hand ihres Begleiters, der sich belehrend zu ihr hinunterbeugt.
Das ist nur ein Gerücht, cara mia. Hör nicht darauf, was dort drüben gesagt wird. Schau doch mal, es gibt hier doch Regenrinnen.«
»Wie dem auch sei, ist es nicht toll, von der Kirche aus direkt in den Himmel zu sehen, in den wir früher oder später gemeinsam auffahren?«, fährt la signora ungerührt fort. Ihr Mann, der den Kopf gesenkt hält, brummt leise etwas. Wahrscheinlich denkt er an seine Sünden und daran, dass die gemeinsame himmlische Zukunft nicht unbedingt gesichert ist. Zumindest wenn man Valentino glaubt, der mir vorhin anvertraut hat, dass eines der größten Probleme des italienischen Mannes ist, dass er mehr Selbstnachsicht als Selbstdisziplin besitzt und Versuchungen jeglicher Art nur zu gern nachgibt. Ich lasse das Gebäude noch ein paar Minuten auf mich wirken, dann trete ich wieder ins Freie und laufe ziellos durch die Stadt.
Stimmengewirr füllt die Luft. Hier und da höre ich das Klirren von Gläsern und wundere mich, dass ich mich kein bisschen verlassen fühle. Vielleicht kann man in Rom nicht einsam sein, denke ich, während ich mich vor einer enoteca am Rande des Campo di Fiori an einem wackeligen Metalltisch niederlasse, um einen Spritz al campari zu bestellen. Die Abendsonne taucht den Platz in ein warmes Licht und wärmt sanft meine Beine. Als das Glas mit der roten Flüssigkeit vor mir steht, rufe ich Raffaele an.
»Raffaele, ich bin es! Ich sitze in Rom und trinke einen Spritz. Aber er schmeckt nicht halb so gut wie bei dir.«
Raffaele lacht am anderen Ende der Leitung. »Das freut mich natürlich zu hören. Wann bist du angekommen?«
»Vor zwei Stunden. Ich hab mich verfahren und hatte noch keine Lust, ein Hotel zu suchen. Rom ist doch größer, als ich dachte. Ich habe noch überhaupt keinen Überblick. Also habe ich meinen Wagen erst mal hinter dem Castello d´Angelo abgestellt und bin in die Altstadt gelaufen, um mich ein wenig umzusehen.«
»Und wo hast du dein Gepäck?«
Im Auto gelassen.«
Raffaele schweigt kurz. »Ich hoffe, es ist im Kofferraum?«
Ich muss an meinen bunt gestreiften Sommerrock denken, der an einem Kleiderhaken über dem Rücksitz hängt, auf dem meine vier Reisetaschen stehen. »Nein«, sage ich zögernd. »Ist das ein Problem? Ich war so gespannt auf Rom und wollte erst mal was sehen, bevor es dunkel wird. Die Gegend wirkt friedlich, eigentlich fast schon verschlafen. Außerdem ist der Vatikan in Sichtweite«, füge ich noch hinzu und bin mir gleichzeitig bewusst, wie albern es ist, sich als Atheistin göttlichen Beistand gegen römische Autodiebe zu erhoffen. Auch Raffaele scheint nicht überzeugt.
»Du musst denken wie die Diebe. Autos lassen sich besser in ruhigen, friedlichen Gegenden aufbrechen als am befahrenen Tiberufer. Ich hoffe, es ist noch alles da, wenn du zurück zum Wagen kommst. Und wegen des Hotels: Mir fällt da gerade was ein. Dass ich da nicht früher dran gedacht habe. Ich kenne da jemanden in Rom. Den Sohn der Nachbarn meiner Eltern. Vielleicht hat der ein freies Plätzchen für dich. Ich melde mich gleich wieder.« Dann legt er auf, ohne meine Antwort abzuwarten. Sein Verhalten amüsiert mich. Offensichtlich kennt der Italiener immer einen Italiener, der einen Italiener kennt ... Zehn Minuten später bin ich tatsächlich mit einer Unterkunft im Gästezimmer eines gewissen Umberto, seiner Telefonnummer (er weiß Bescheid) und Adresse (ganz leicht zu finden) ausgestattet. Und mein Gepäck ist auch noch da. Bis ich allerdings bei Umberto ankomme, vergehen geschlagene zwei Stunden. Ich fahre direkt am Wasser entlang. Dort reihen sich Zelte und Bars aneinander, die Stadt feiert sich, den Sommer und das Leben. Nachdem ich endlich einen Parkplatz gefunden habe, trage ich mein Gepäck durch die Straßen, zerre die Koffer hinter mir her, bedanke mich bei helfenden Händen, die meine fallenden Taschen auffangen, für mich über Stufen heben, mir den Weg weisen. Dann bin ichndlich da, stehe mit klopfendem Herzen vor der Haustür. Um mich herum leuchtet Rom in der Dunkelheit. Es ist gar nicht so einfach, die Gastfreundschaft eines wildfremden Menschen anzunehmen. Fidelio hatte ich wenigstens schon einmal gesehen, aber Umberto ist mir vollkommen fremd. Nach kurzem Klingeln öffnet Raffaeles Bekannter die Haustür und begrüßt mich, obwohl er mich zum ersten Mal sieht, als würden wir uns seit einer Ewigkeit kennen.
»Ich dachte, ich komme runter und helfe dir tragen.
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