Avanti Amore - mein Sommer unter Italienern
lange her, ich kann mich nicht mehr wirklich erinnern.«
»Du wirst begeistert sein. Der Gebäudekomplex ist wirklich beeindruckend. Komm mit. Ich zeige dir alles.« Wir schlendern an einigen Häusern und Ständen vorbei, bis wir an dem großen Platz ankommen, an dem sich der Schiefe Turm von Pisa befinet. Raffaele hat nicht übertrieben, der Anblick des Doms, des Taufhauses und des schiefen Turms ist gigantisch, und aus der Nähe wirken die Gebäude fast ein bisschen unwirklich, so als wären sie eine Filmkulisse.
»Wow«, sage ich dann. »Verrückt, dieser schiefe Turm.«
»Ja, nicht wahr?« Raffaele lacht mich an. »Da hat Dombaumeister Bonnanus bei seiner Planung nicht aufgepasst und übersehen, dass ein Teil seines Fundaments auf einem zugeschütteten Kanal stand. Seitdem sackt der Torre pendente di Pisa dort natürlich ein. Gott sei Dank kann man den Turm heute vor dem Einsturz bewahren.«
»Ich weiß trotzdem nicht, ob ich mich da hochtraue ...«
»Ach, da passiert nichts. Es dürfen, glaube ich, nur dreißig oder vierzig Leute gleichzeitig auf den Turm. Erst danach wird es gefährlich.«
»Sehr beruhigend«, entgegne ich ironisch. Dann beobachte ich die Menschenmassen, die sich auf dem Platz drängen. Wie schön müsste es sein, diesen Ort alleine oder zu zweit zu besuchen. Aber wahrscheinlich trifft man die Touristen hier zu jeder Tages- und Nachtzeit. Ich beobachte, wie einige Leute auf der Wiese vor dem torre merkwürdige Verrenkungen machen. Ein junger Mann liegt auf dem Rücken und streckt die Füße in die Luft.
»Was machen die denn da?«, frage ich Raffaele, während wir vorbeigehen.
»Sie machen die berühmten Turm-Fotos. Kennst du die nicht?«
»Nein.«
»Wenn du den schiefen Turm aus einer bestimmten Perspektive fotografierst und dazu eine Pose machst, als würdest du den Turm mit deiner Hand oder den Füßen anstoßen, dann sieht es auf dem Foto hinterher wirklich so aus, als würdest du den Turm umschubsen. Sehr lustig. Los, stell dich mal hin, und gib mir deine Kamera.« Ich tue wie geheißen, nicht ohne mich darüberu freuen, dass ich an jenem Abend in Neapel klug genug gewesen bin, sie in der Pension zu lassen!
»Das ist doch albern«, antworte ich zögerlich.
»Ach was. Sei nicht so schüchtern«, sagt Raffaele, also stelle ich mich schief in den Wind und strecke meinen Arm in die Luft. Ich habe das Gefühl, mich lächerlich zu machen, aber da die restlichen Leute um mich herum ganz ähnliche Körperhaltungen einnehmen, ergebe ich mich meinem Schicksal. Nach ein paar Minuten hat er das Bild im Kasten, und nun gibt es auch von mir ein typisches Touristenmotiv: Dana schubst den Schiefen Turm von Pisa um.
Ein letztes Mal umrunden wir den Platz. Ich kann es nicht lassen, die Steine, aus dem das Gebäude gebaut ist, anzufassen. Der kühle, glatte Marmor fühlt sich gut an. Unglaublich, was die Architekten damals geleistet haben. Meine Italienreise war zum Großteil eine Reise in die Vergangenheit. Überall diese beeindruckenden alten Gebäude, diese Überbleibsel aus einer längst vergangenen Zeit. Während ich meinen Gedanken nachhänge, laufen wir zurück zum Auto. Weil ich mir gewünscht habe, noch einmal das Meer zu sehen, bevor ich fahre, hat Raffaele entschieden, mir einen der längsten Strände Italiens zu zeigen. Viareggio ist von Pisa nur knapp fünfundzwanzig Kilometer entfernt, so dass wir nach einer halben Stunde dort ankommen. Raffaele öffnet den Kofferraum und zieht etwas aus dem Wagen.
»Ich habe was vorbereitet«, sagt er grinsend, während er mir einen Korb vor die Nase hält. »Picknick!«
»Oh, wie schön!«, antworte ich. »Ich hatte noch kein einziges italienisches Picknick auf dieser Reise, aber seit ich in Monza eine Familie bei ihrem Picknick beobachtet habe, habe ich mir gewünscht, auch eins zu machen.«
»Dann wird es aber Zeit.« Wir laufen an einem Kanal Richtung Strand, dessen Ufer von Schilf bewachsen ist. Hier und da sitzt ein einsamer Angler und wartet darauf, dass ein Fisch anbeißt.
Der Strand ist ziemlich verlassen«, sagt Raffaele, während er flotten Schrittes weitermarschiert. »Hier gibt es keinen Bademeister und keine capanna, daher kommen nicht viele Touristen. Eigentlich schade, denn für deine Männerrecherche hätte ich dir ja gern noch einen echten italienischen Bademeister gezeigt.« Raffaele stupst mir mit dem Ellenbogen in die Seite und lacht mich an.
»Wieso?«, frage ich belustigt.
»Na ja, ein echter italienischer Bademeister
Weitere Kostenlose Bücher