Ave Maria - Roman
Beim nächsten Mal - falls es ein nächstes Mal gibt - werde ich mich dazu zwingen, etwas zu spät zu kommen. Wenigstens zehn Minuten, vielleicht fünfzehn.«
»Ich verzeihe dir«, sagte ich und fühlte mich plötzlich unglaublich entspannt. »Du hast das Eis gebrochen.«
Kayla zwinkerte mir zu. »Ja, hab ich, nicht wahr? Einfach so. Gott, bin ich gut! Hinterlistig, genau wie du.«
»Du kennst doch das Axiom, dass Männer Frauen nicht leiden können, die sie bedrohen, weil sie so gescheit sind?«, fragte ich. »Du bist beängstigend gescheit.«
»Aber du bist die Ausnahme, die die Regel bestätigt, richtig? Du magst gescheite Frauen. Überhaupt bin ich gar nicht gescheit. Ich sag dir auch, weshalb - jedenfalls meine Theorie.«
»Rede nur. Aber ich trinke jetzt ein Bier. Ein Pils vom Fass«, sagte ich zum Barkeeper.
Kayla fuhr fort. »Ich sehe all die supergescheiten Leute im Krankenhaus, Doktoren und Wissenschaftler, die im persönlichen Leben totale Versager sind. Also, wie gescheit können die wohl sein? Sind sie gescheit, weil sie Fakten und die Ideen anderer Menschen auswendig gelernt haben? Weil sie jeden Rock’n’Roll-Song kennen, der je rausgekommen ist? Oder sämtliche Dialoge jeder Episode aus Verliebt in eine Hexe?«
Ich rollte mit den Augen. »Kennst du die Dialoge aus Verliebt in eine Hexe ? Du kennst tatsächlich Menschen, die das alles auswendig können?«
»Mein Gott, nein! Vielleicht Emergency Room und Scrubs .«
»Ich kenne viele Songs von R & B«, sagte ich. »Aber wie weit hilft mir das im Leben?«
So plauderten wir, lachten viel, tranken und aßen hervorragend. Interessant war, dass wir weder über Nana noch die Kinder sprachen. Vielleicht, weil das zu leicht gewesen wäre. Wie immer genoss ich Kaylas Sinn für Humor, aber noch mehr ihre Selbstsicherheit. Sie fühlte sich in ihrer Haut wohl, war nicht defensiv. Eine Verabredung mit ihr war einfach schön.
Als wir den letzten Drink nach dem Essen austranken, erklärte sie: »Das war nett, Alex. Wirklich nett und locker.«
»Überrascht?«, fragte ich.
»Nein, eigentlich nicht. Na ja, vielleicht ein bisschen«, gab sie zu. »Vielleicht sogar sehr.«
»Willst du mir sagen, weshalb?«
»Hmmm. Ich nehme an, weil du keine Ahnung hattest, wer ich wirklich war, obwohl du bestimmt gedacht hast, dass du das wüsstest.«
»Wenn ich dich sehe, arbeitest du für gewöhnlich«, sagte
ich. »Du bist Dr. Kayla Coles vom Medizinischen Dienst unserer Nachbarschaft.«
»Nehmen Sie zwei Aspirin und wagen Sie es ja nicht, mich zu Hause anzurufen«, sagte sie und lachte. »Ich schätze, es ist schwierig, weil sich mir so viele Menschen anvertrauen, aber ich meist niemandem mein Herz ausschütten kann.«
Ich lächelte. »Möchtest du vielleicht bei mir etwas ausschütten?«
Kayla schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das habe ich schon gesagt. Es war ein schöner Abend. Ich habe ihn mehr genossen, als ich erwartet habe.«
»Stimmt. Und es wird ein nächstes Mal geben. Das hast du gesagt.«
Sie lächelte mich entzückend an. »Hatte ich damit nicht Recht?«
»Du hast Recht, vorausgesetzt, du willst wieder mit mir ausgehen.«
»Ja, Alex, das möchte ich. Natürlich. Wir werden sehen, wie sich alles entwickelt.«
80
Als ich am nächsten Nachmittag wieder an der Westküste eintraf, war in unserer Außenstelle in L.A. die Hölle los. Es ging um die letzte Entwicklung im Fall Mary Smith, aber auch um mich. Das waren keine guten Nachrichten, milde ausgedrückt.
Offenbar hatte sich herumgesprochen, dass Maddux Fielding und ich uns nicht direkt um den Hals gefallen waren, nachdem er Jeanne Gallettas Platz eingenommen hatte. Die Beziehung zwischen dem FBI und dem LAPD war immer zäh gewesen, manchmal mehr, manchmal weniger angenehm. Jetzt hatten wir augenscheinlich einen Tiefpunkt erreicht.
Soweit ich es mitbekommen hatte, drehte sich der allgemeine Klatsch darum, dass ich, Agent Cross vom FBI, einfach aufgetaucht war, nichts zu verlieren hatte und dann dem LAPD locker alles versaut hätte.
Ich ließ mich davon fünf Minuten lang beunruhigen, dann ging ich weiter.
Mary Smith alias der Hollywood Stalker alias Dirty Mary entwickelte sich zu einem äußerst arbeitsaufwändigen, sich ständig blitzschnell ändernden Mordfall. Niemand konnte sich an einen ähnlichen erinnern. Selbst die alten Hasen redeten darüber. Besonders jetzt, wo es noch zu einer kleinen Kontroverse in dem Schwindel erregenden Wirrwarr gekommen war.
Am Morgen des Tages, an dem ich
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