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Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Mishani
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Er stützte beide Ellbogen auf den Tisch, verschränkte die Hände und verbarg seinen Mund dahinter, wenn er nicht sprach. Ihr Stuhl war etwa dreißig Zentimeter vom Tisch entfernt. Die meiste Zeit schaute sie den vor ihr sitzenden Ermittler nicht an. Ihr Blick ging durch ihn hindurch und fixierte die Tür, als wartete sie darauf, dass jemand hereinkäme und der Vernehmung ein Ende machte, oder aber als plante sie einen Fluchtversuch.
    Sie sagte: »Nein.« Und da er nicht antwortete, fragte sie nach einem Moment des Schweigens: »Haben Sie etwas über Ofer herausgefunden?«
    »Ja«, sagte Avraham Avraham. Mehr nicht.
    Seit Beginn der Ermittlungen war dies die erste Vernehmung, die er bis ins kleinste Detail geplant hatte, so wie er es liebte. Die Strategie war ihm gleich klar gewesen, als er am gestrigen Nachmittag begonnen hatte, sich Gedanken über das Verhör zu machen. Jedes Wort war sorgfältig überlegt. Auch die Phasen des Schweigens.
    Als sie begriff, dass er nicht vorhatte, etwas hinzuzufügen, fragte sie: »Warum erzählen Sie nicht, was Sie herausgefunden haben?«
    »Ich möchte Ihnen Gelegenheit geben, es mir zuerst zu sagen.«
    Sie sah ihn verständnislos an. »Was zuerst sagen?«
    »Gibt es noch etwas, das Sie über Ofers Verschwinden wissen?«
    Das war die letzte Gelegenheit.
    »Nein«, entgegnete sie. »Außer dass Sie seinen Rucksack gefunden haben.«
    Er versuchte, ihren Blick einzufangen, doch es gelang ihm nicht. Und er gab ihr noch eine Gelegenheit.
    »Hannah, ich möchte, dass Sie genau überlegen, ehe Sie antworten. Ich frage Sie, ob Sie, seit wir nach Ofer suchen, mich oder die Polizei über alles in Kenntnis gesetzt haben, was Sie wissen. Lassen Sie sich Zeit, denken Sie über meine Frage nach.«

    Glücklicherweise schaute sich außer ihm niemand die Aufzeichnung von Hannah Sharabis Vernehmung an. Und es würde wohl auch niemand mehr auf die Idee kommen. Der Film würde zusammen mit dem übrigen Ermittlungsmaterial eingelagert und wahrscheinlich irgendwann vernichtet oder gelöscht werden. Mit den Aufbewahrungsvorschriften der Polizei kannte Avraham sich nicht so genau aus. Hingegen wusste er sehr genau, dass es Aufgabe eines Ermittlers war, dem Verdächtigen im Verhör belastende Aussagen zu entlocken. Aber jeder, der sich den Film angesehen hätte, hätte feststellen können, dass Avraham Avraham dies nicht versucht hatte. Als er sich die Aufzeichnung einige Tage später anschaute, stellte er fest, dass man Hannah Sharabis Worte manchmal kaum verstehen konnte. Was einer der Nachteile der Videomitschnitte war. Doch diese Unterredung würde er auch so immer wieder rekonstruieren können.
    Sie erklärte, sie habe der Polizei bereits alles gesagt, was für die Suche von Bedeutung sei, und auf dem Vernehmungsvideo war zu sehen, wie er ihre Antwort verdaute, unschlüssig schien. Dann zog er den Aktenordner über den Tisch zu sich heran und entnahm ihm mehrere, von Klarsichthüllen geschützte Seiten.
    »Sie haben mir nicht erzählt, dass Sie diese Briefe erhalten haben«, sagte er, reichte ihr die Blätter aber noch nicht über den Tisch.
    »Was ist das?«
    »Briefe, die in Ihren Briefkasten gesteckt wurden. Genauer gesagt, dies hier sind nicht die eigentlichen Briefe, denn die haben Sie ja herausgenommen, sondern Abschriften. Möchten Sie, dass ich Ihnen die genauen Daten nenne, an denen die Briefe in Ihren Briefkasten geworfen wurden?«
    Sie antwortete nicht, sondern starrte nur noch unverwandter auf die Tür.
    Avraham Avraham fragte: »Möchten Sie, dass ich Ihnen sage, was die Briefe mit der Suche nach Ofer zu tun haben, oder wissen Sie es bereits?«
    »Ich weiß nichts. Woher haben Sie die?«
    Ohne auf ihre Frage einzugehen, begann er, den ersten Brief vorzulesen.

    Papa, Mama, ich weiß, dass Ihr schon seit ein paar Tagen nach mir sucht, aber ich rate Euch, damit aufzuhören, denn Ihr werdet nichts finden, auch die Polizei wird nichts finden, nicht einmal mit ihren Spürhunden. Auf den Zetteln, die Ihr in den Straßen aufgehängt habt, steht, ich sei am Mittwochmorgen verschwunden, aber wir drei wissen, dass das nicht stimmt. Wir drei wissen, dass ich schon vor langer Zeit verschwunden bin, dass ich verschwunden bin, ohne dass Ihr es bemerkt habt, eben weil Ihr gar nichts bemerkt habt und auch nicht, dass ich nicht eines Tages verschwunden bin, sondern dass es ein schrittweiser Prozess des Verschwindens war. Am Ende habt Ihr gedacht, ich wäre noch immer zu Hause, nur, weil Ihr niemals

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