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Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Mishani
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Er konnte den Impuls nicht unterdrücken und fragte: »Wo möchtest du denn, dass wir ihn suchen, Ilana? Meinst du, er versteckt sich unter seinem Bett?«

    Zwischen ihnen hatte bereits von dem Moment an eine gewisse Befangenheit geherrscht, als er morgens um halb zehn in ihrem Büro eingetroffen war. Ilana erwartete ihn an der Zimmertür, in Uniform. Sie tauschten eine Umarmung aus, in der keine Nähe zu spüren war. Dann bat sie ihn, Platz zu nehmen, als wäre er ein Gast, der zum ersten Mal in ihr Büro kam. Er ließ sich auf dem Stuhl nieder, auf dem er meistens saß, dem rechten der beiden blauen Stühle, die vor ihrem Schreibtisch standen, und fühlte sich dennoch unbehaglich darauf.
    Ilanas erste Worte mussten eine große Distanz überwinden, ehe sie ihn erreichten. Von den alten Aufnahmen an den Wänden sahen andere Gesichter auf ihn herab. Es war zwar nicht das erste Mal, aber es war anders als sonst. Jedes Mal, wenn sie sich nach längerer Zeit wiedersahen, herrschte eine Scheu zwischen ihnen, die überwunden werden musste; was auch immer wieder gelang. Aber bisher hatte Avraham Avraham stets allein sich selbst die Schuld daran gegeben, da es immer etwas Zeit brauchte, bis er sich in Ilanas Gegenwart frei und unbefangen fühlte. Jetzt aber war diese Berührungsangst auch an Ilana unverkennbar. Sie war für die Distanz zwischen ihnen mindestens ebenso verantwortlich wie er.
    »Na los, erzähl, wie war’s«, sagte sie.
    »Zeitverschwendung«, antwortete er. »Im Nachhinein, ich hätte nicht fahren sollen.«
    »Du siehst trotzdem nicht schlecht aus. Wahrscheinlich magst du einfach nicht zugeben, wenn dir etwas guttut.«
    Vielleicht hatte sie recht.
    Sie bat erst, er solle ihr von Jean-Marc Karot erzählen, und fragte dann, ob er einen der leitenden Ermittler der Division Centrale getroffen habe, den sie auf einem Kongress in Madrid kennengelernt hatte. Es war einer der beiden Beamten, die die Mordermittlung im Fall Johanna Getz geleitet hatten, offenbar jener Polizeioffizier, der schließlich den Fall auch gelöst hatte. Avraham Avraham erklärte, wegen der Mordermittlung habe er ihn nicht näher kennengelernt. Er wollte ihr von der Ermittlung erzählen, die seinen Besuch in Brüssel vollkommen durcheinandergebracht hatte und am Tag seiner Abreise abgeschlossen worden war.
    Aber Ilana sagte: »Warte, das sollten auch Eliyahu und Eyal hören, wenn sie kommen. Wir haben vorher noch anderes zu besprechen.« Dann fragte sie ihn, ob er Jean-Marcs Frau kennengelernt habe und ob sie tatsächlich so eine Schönheit sei, wie ihr Mann erzählt hatte.
    Avraham war überrascht über ihre Frage und bejahte. An dem Treffen von Jean-Marc und Ilana in Tel Aviv hatte er nicht teilgenommen, ja er wusste nicht einmal, worüber sie gesprochen hatten.
    »Aber von der Stadt hast du etwas zu sehen bekommen?«, fragte sie.
    »Kaum, nur am letzten Tag.«
    Die ganze Zeit über hatte er das Gefühl, als scheute sie sich, ihm etwas zu sagen, und erst im weiteren Verlauf des Gesprächs wurde deutlich, dass er recht gehabt hatte. Und auch er tat sich schwer zu reden. Er fühlte sich schmerzlich fremd in dem vertrauten Zimmer, obgleich er nur wenige Tage fort gewesen war. Er bat Ilana, ihn über den letzten Stand der Ermittlungen zu informieren, und berichtete ihr, dass er die Woche über in ständigem Kontakt mit Maalul gestanden hatte. Daraufhin konfrontierte ihn Ilana mit der veränderten Arbeitshypothese.
    Um zehn trafen Schärfstein und Maalul ein, gemeinsam.
    Schärfstein ließ sich mit größter Selbstverständlichkeit auf dem freien Stuhl nieder, als sei das sein Stammplatz, und Ilana verließ den Raum, um nach einem Stuhl für Maalul zu suchen. Avraham Avraham stand auf, und Maalul drückte ihm die Hand und sagte: »Ah, unser Mann aus Belgien. Du siehst viel besser aus.«
    Er trug, trotz der schwülen Hitze an diesem Morgen, dieselbe graue Windjacke, die er schon bei der letzten Besprechung angehabt hatte, und Avraham Avraham dachte für einen Moment, dass er vielleicht seine Arme vor ihnen verbarg. War da ein stichelnder Unterton in seiner Stimme, als er ihn fragte, ob er in Brüssel einen draufgemacht hatte? Schärfstein ignorierte seine Rückkehr, als wäre er gar nicht weg gewesen. Sie wechselten einen Blick zur Begrüßung, und Schärfstein wartete schweigend, bis Ilana mit dem Stuhl wieder hereinkam und Maalul darauf Platz genommen hatte.
    Dann fing er einfach an zu reden, ohne abzuwarten, ob Ilana vielleicht ein paar

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