Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst
Möglichkeit ausschließen, sie könnten nicht alle Informationen weitergegeben haben, um systematisch arbeiten zu können. Das ist alles.«
»Aber wie ist diese Schnapsidee plötzlich aufgekommen?« Avraham wurde lauter. »Wenn ihr diese Möglichkeit, von der ich nicht weiß, wer sie aufgebracht hat, ausschließen wollt, bitte sehr: Dann lade ich sie zur Vernehmung vor, und wir schließen sie aus. Wozu muss ihr Telefon abgehört werden?«
»Diese Schnapsidee ist aufgekommen, weil wir feststecken. Schon seit zweieinhalb Wochen. Und jede Sekunde, die verstreicht, ohne dass wir bei der Ermittlung vorankommen, macht mir Angst. Außerdem fängt man an, mir Fragen zu stellen, wie es sein könne, dass wir nach zweieinhalb Wochen nicht einmal die leiseste Ahnung haben, was Ofer passiert ist. Und schließlich ist es jetzt, da wir den Rucksack gefunden haben, noch wahrscheinlicher, dass wir hier ein Verbrechen untersuchen und nicht bloß ein Jugendlicher von zu Hause ausgerissen ist. Stimmst du mir in dem zu? Und vor allen Dingen ist diese Idee aufgekommen, weil wir bis jetzt keinerlei Alternativen geprüft haben, obwohl wir von Anfang an die Notwendigkeit betont haben, uns nicht auf eine einzige Version zu beschränken. Ich denke, es ist jetzt an der Zeit, in verschiedene Richtungen zu ermitteln, ehe der Fall an ein anderes Team geht.«
Trotz ihres resoluten Tons schien ihm Ilana unsicher zu sein. Als sich nun Schärfstein einmischte, wie um sie in ihrer Meinung zu unterstützen, sah sie ihn an, als sei er der Leiter dieser Ermittlung und sie ihm unterstellt.
»Die Idee ist auch aufgekommen«, erklärte Schärfstein, »weil mir überhaupt nicht wohl bei dem Gedanken daran ist, dass Ofers Rucksack erst in einem Container in Tel Aviv gefunden wurde, nachdem sein Vater aus dem Ausland zurückgekehrt war.«
Avraham Avraham sah ihn an. Erst jetzt wurde ihm das Ausmaß des Hinterhalts klar. In jeder Überraschung verbarg sich eine weitere. Leise merkte er an: »Der Rucksack ist anderthalb Wochen, nachdem der Vater wieder da war, in dem Container gefunden worden, nicht am nächsten Tag.«
Sie schwiegen einige Zeit. Alle vier. Avraham Avraham hatte schon an manchem langen Schweigen in diesem Raum teilgehabt. Schweigen, aus dem sich ein Gedanke entzündet hatte; Schweigen, das in aller Stille Ideen vor dem inneren Auge auftauchen ließ. Aber diese Stille jetzt war anders. Es war die Stille vor der Positionierung. Jeder der Anwesenden versuchte, die soeben entstandenen neuen Kräfteverhältnisse einzuschätzen, und überlegte, wie er sich darin einfinden sollte.
Avraham bemühte sich, ruhig zu bleiben, die Kränkung hinzunehmen. Er steckte sich eine weitere Zigarette an und sagte: »Gut, erklärt mir wenigstens, was ihr wirklich denkt. Denn im Grunde genommen sagt ihr ja, dass ich die Vernehmung der Eltern versaut habe.«
Maalul entgegnete sofort: »Darum geht es nicht. Wir schlagen einfach vor, jede mögliche Richtung abzuklopfen.«
»Überleg mal«, mischte sich Schärfstein ein, »wenn wir uns auf eine neue Grundlage stützen und davon ausgehen, dass Ofer Sharabi seit Dienstagnachmittag vermisst wird, denn das ist der letzte Zeitpunkt, von dem wir mit Sicherheit sagen können, wo er war, dann ändert sich das Bild. Das heißt, er wird vermisst, noch bevor der Vater abreist, nicht erst danach. Und dann kann auch die Tatsache, dass der Rucksack in dem Container gefunden wird, nachdem der Vater wieder zurück ist, eine andere Bedeutung haben. Es ist doch sonderbar, dass die Tasche zwei Wochen nach dem Verschwinden des Jungen auftaucht. Meinst du nicht, das sollte geklärt werden?«
Maalul nickte, und Avraham Avraham versuchte, seinen Worten einen sachlichen Tonfall zu verleihen, als er sagte: »Mir erscheint das sehr, sehr spekulativ. Dann können wir auch gleich annehmen, Ofer wäre am Montag verschwunden, und derjenige, den man auf der Überwachungskamera der Schule am Dienstag sieht, ist ein Doppelgänger, oder nicht? Wenn ihr meint, die Eltern halten Informationen zurück, dann zweifelt ihr an meiner Vernehmungsarbeit. Anders lässt sich das nicht ausdrücken. Und ich sage euch, sie halten keine Informationen zurück und tun alles, was ihnen möglich ist, um bei der Ermittlung zu helfen. Ich bin der Einzige, der bei ihnen in der Wohnung gesessen, mit ihnen gesprochen und gesehen hat, was sie durchmachen. Man täte ihnen wirklich Unrecht, wenn man ihre Aussagen anzweifelt. Ich jedenfalls habe nicht vor, das zu
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