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Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst

Titel: Avi Avraham ermittelt 01 - Vermisst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dror Mishani
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verströmte noch seinen alten Geruch.

    »Ich bin nicht sicher, ob ich verstehe, worauf du hinauswillst«, sagte er zu Ilana und holte eine Packung Zigaretten aus der Tasche.
    Ilana erhob sich und öffnete das Fenster, das auf die Salame-Straße hinausging. Es war ein heißer, stickiger Morgen, und trotz des geöffneten Fensters strömte kaum Luft ins Zimmer. Sie setzte sich wieder und antwortete: »Darauf, dass wir uns, anders als vor zwei Wochen bei der ersten Teambesprechung hier vereinbart, nicht konsequent auf die Ungewissheit eingelassen haben. Und du weißt das. Wir haben vorschnell etwas als Tatsache angesehen und zu unserer einzigen Hypothese gemacht, was für uns allerdings nur eine Vermutung hätte sein dürfen: nämlich, dass Ofer seit jenem Mittwochmorgen vermisst wird.«
    »Was soll das heißen: vorschnell? Was hätten wir denn tun sollen?«
    Sie hatte vergessen, einen Aschenbecher auf den Tisch zu stellen.
    »Ich sage, es war ein Irrtum, weil wir eben nicht wissen, ob dies zutrifft. Wir haben keinerlei Beweise oder Zeugenaussagen unterschiedlicher Herkunft, die dies belegen. Im Gegenteil. Seit zweieinhalb Wochen suchen wir nach jemandem, der Ofer – einmal abgesehen von seiner Mutter – am Mittwochmorgen gesehen hat. Und finden niemanden. Wir haben nicht einmal den Ansatz einer Vermutung, was an jenem Mittwochmorgen geschehen sein könnte. Wenn du von der Annahme ausgehst, dass ihm am Mittwochmorgen auf dem Weg zur Schule etwas zugestoßen ist oder er beschlossen hat, nicht zur Schule, sondern woandershin zu gehen, oder dass ihn irgendjemand überredet hat, das zu tun, dann musst du einen Beweis dafür finden. Bis jetzt haben wir aber noch niemanden ausfindig machen können, der ihn gesehen hat, weder im Treppenhaus noch beim Verlassen des Hauses oder beim Einsteigen in den Bus. Bilder von ihm sind an alle Bus- und Taxifahrer in der gesamten Umgebung verteilt worden, an alle Anwohner und Ladenbesitzer, und niemand hat ausgesagt, ihn an jenem Mittwoch gesehen zu haben. Du bist im Fernsehen aufgetreten, es hat Veröffentlichungen in der Presse gegeben, und dennoch liegt uns nicht eine einzige Zeugenaussage vor von jemandem, der beschwören könnte, ihn am Mittwochmorgen gesehen zu haben, wie er in die eine oder die andere Richtung ging. Verstehst du? Seit Beginn der Ermittlungen stecken wir fest, Avi. Und die Zeit wird knapp. Möglich, dass sie schon abgelaufen ist. Wir waren nun einfach gezwungen, uns dies einzugestehen, vor allem uns selbst. Denn es gelingt uns nicht zu rekonstruieren, was am Mittwochmorgen passiert ist, nachdem er angeblich das Haus verlassen hat. Also haben wir überlegt, dass wir unsere grundsätzliche Annahme zumindest neu überprüfen und hinterfragen müssen. Wir haben nichts zu verlieren.«
    Er schwieg. Steckte sich, trotz der stickigen Schwüle und obwohl er keinen Aschenbecher hatte, eine Zigarette an. Maalul hatte bei seinem Anruf am Donnerstag, nach dem Fund des Rucksacks, nichts von einer Überprüfung der Ausgangsvermutung gesagt, auch nicht bei seinem letzten Anruf aus Brüssel am Freitagnachmittag. Wann genau hatten sie das beschlossen? Und auf wessen Initiative? Letztlich verbarg sich in Ilanas professioneller Analyse ein direkter Vorwurf: Du hast die Ermittlung nicht geführt, wie es erforderlich gewesen wäre, vor allem die Eltern nicht ausreichend vernommen.
    Er sah die Mutter vor sich, an jenem ersten Abend in seinem Büro auf dem Revier. Und er erinnerte sich an die Fotos von Ofer, die sie am nächsten Morgen aus einer kleinen Plastiktüte geholt und auf den Tisch gelegt hatte.
    Aber Ilana war noch nicht fertig mit ihm. »Avi, alles, was wir mit Bestimmtheit wissen, ist, dass der Junge am Dienstag in der Schule war. Eliyahu ist die Bänder der Überwachungskameras auf dem Schulhof und am Schultor durchgegangen. Man sieht alles darauf. Sieht ihn aus dem Schultor gehen. Und wir wissen auch, dass er am Dienstagnachmittag nach Hause gekommen ist. Dafür gibt es drei Zeugenaussagen, neben der der Mutter. Ein Mitschüler und eine Mitschülerin waren hinter ihm auf dem Nachhauseweg, und ein Nachbar hat ihn gesehen, als er kurz vor zwei das Haus betreten hat. Aber das war’s. Genau genommen ist das der letzte Zeitpunkt, von dem wir mit Bestimmtheit sagen können, wo er nach Aussage mehrerer unterschiedlicher Zeugen gewesen ist. Ofer ist nach Hause gekommen. Und dort wollen wir anfangen, nach ihm zu suchen.«
    Zum ersten Mal seit Donnerstag hörte Avraham den Namen Ofer.

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